Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
erinnerte. Obwohl er schon ein paar Jahre allein gewohnt hatte, währte sein Leben verglichen mit ihrem erst einen kurzen Moment.
»Verärgere mich nicht, Seth.« Sorcha ging zu ihm und strich seine Haare zurück. »Mir ist sehr wohl bewusst, dass du diese Hundselfe und Devlin dazu ermutigt hast, einen neuen Hof zu bilden. Und ich vergesse nicht, dass du dazu beigetragen hast, mich von der Welt der Sterblichen auszuschließen.«
»Ich möchte, dass du in Sicherheit bist«, erinnerte er sie.
»Und dass ich nicht in die Welt der Sterblichen gelangen kann.« Sie ließ die Hand auf seinem Kopf liegen. »Du gehörst mir. Du bedeutest mir mehr als jemals irgendwer zuvor, aber es wäre klug von dir zu bedenken, dass ich nicht sterblich bin. Vergiss das nicht, wenn du in Zukunft solche Entscheidungen triffst.«
»Ich vergesse gar nichts. Ich vergesse auch nicht, dass du mich genug liebst, um deine eigene Welt zu zerstören.« Seth legte seine Hand auf ihre. »Droh mir nicht, Mutter. Unsere Vereinbarung zwingt mich, für alle Ewigkeit jedes Jahr ins Elfenreich zu kommen, aber sie zwingt mich nicht, dich zu lieben. Ich liebe dich, aber du bist nicht die Einzige, die in meinem Herzen wohnt.«
Sie standen einige Zeit schweigend voreinander, dann nickte die Königin des Lichts. »Hüte dich vor Nialls Launenhaftigkeit, bitte. «
»Er ist mein Bruder. Alles wird gut werden«, versprach Seth. Damit verließ er sie, um den König der Schatten aufzusuchen.
Sechs
»Er wird nicht wieder aufwachen«, sagte der neue Heiler.
Nialls Abgrundwächter traten bei dieser Ankündigung schlagartig in Erscheinung.
»Hol den nächsten Heiler«, befahl der König der Finsternis.
Eine Hundselfe, an deren Namen er sich nicht erinnerte, nickte. Mit einem raschen Blick zum König packte sie den Arm des Unglücklichen und führte ihn aus dem Zimmer.
»Da ersticht man ein, zwei Heiler, und alle reagieren hysterisch«, sagte Niall.
Niemand antwortete. Irial war bewusstlos geworden und wachte nicht wieder auf.
Bis jetzt.
Niall nahm das Tuch aus der Schüssel, die auf dem Nachttisch stand. Dann beugte er sich vor und drückte seine Lippen auf Irials Stirn. »Dein Fieber ist nicht gestiegen. Es ist auch nicht gesunken, aber immerhin ist es nicht gestiegen.«
Er setzte sich neben Irial und betupfte dessen Gesicht und Hals mit dem feuchten Tuch, wie er es auch den Großteil des vorherigen Tages getan hatte.
»Ich kann hier bei ihm bleiben«, sagte Gabriel an der Tür. »Wenn er aufwacht, schicke ich nach dir.«
»Nein.« Er erzählte Gabriel nichts von den sonderbaren Träumen, die er und Irial seit einiger Zeit miteinander teilten. Es ergab keinen Sinn, wirklich zu glauben, dass er sich mit Irial in ein und demselben Traum befand. Aber es ist real. Es fühlt sich real an. Niall lebte schon lange, war jahrelang auf Wanderschaft gewesen und hatte sich an drei verschiedenen Höfen aufgehalten. Aber noch nie hatte er davon gehört, dass man gemeinsam träumen konnte, wie er und Irial es nun zu tun schienen. Ist das Wahnsinn? In seinen Träumen hatten sie über all die Dinge gesprochen, die sie jahrhundertelang totgeschwiegen hatten; sie waren sich so nah gewesen wie schon viel zu lange nicht mehr. Bilde ich mir das nur ein?
Gabriel versuchte es erneut: »Du musst dich ausruhen. Der Hof bezieht seine Kraft von dir . Wenn du krank wirst …«
»Genug jetzt.« Niall sah ihn wütend an. »Lass uns allein.«
Gabriel ignorierte ihn. Statt zu gehen, kam er weiter ins Zimmer. Neben Irials Bett blieb er stehen und legte Niall verständnisvoll die Hand auf die Schulter. »Mein Welpe ist tot. Ani und Rabbit sind im Elfenreich. Irial ist verwundet. Ich kann dich gut verstehen.«
Die Trauer in der Stimme des Hundes brachte Niall beinahe um das letzte bisschen Selbstkontrolle, an das er sich verzweifelt klammerte. »Ich kann nicht«, gestand er. »Ich kann ihn nicht allein lassen … Irgendetwas stimmt nicht.«
Gabriel schnaubte. »Es stimmen eine ganze Menge Dinge nicht. Wahrscheinlich ist es leichter, die Dinge aufzuzählen, die in Ordnung sind.«
Niall tauchte das Tuch schweigend wieder in die Schüssel. Er starrte in das Wasser und versuchte zu verstehen, welche Gefühle ihm gerade so zu schaffen machten. Seine Reaktion auf Irials Verwundung hatte etwas Übertriebenes. Unberechenbare Gedanken benebelten sein Hirn; er vermochte nicht einmal mehr, ihnen mit klarem Verstand zu folgen. Eine unbändige Lust, gewalttätig zu werden, bäumte sich wider
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