Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
ich nicht.« Ashlyn gestand nur ungern, dass sie etwas nicht verstand, aber manchmal war es unvermeidlich. Tavish war ihr Berater und lebte schon länger, als sie es sich vorstellen konnte. Es war einer seiner vielen Vorzüge, dass er ihr die langen Lebensgeschichten jener Elfen erklären konnte, die sie erst seit kurzem kannte.
Tavish setzte eine unergründliche Miene auf und begann: »Du weißt, dass Niall und Irial eine gemeinsame Geschichte haben?«
Er machte eine Pause und sie nickte.
Tavish fuhr fort: »Nialls Zorn über Irials Täuschungsmanöver und Vertrauensbrüche ist auch nach Jahrhunderten noch nicht verraucht – und das mit Recht. Aber wenn man selbst Regent wird, erkennt man, dass manche Aufgaben Entscheidungen erforderlich machen, die einem in anderer Situation grausam erschienen wären.« Ihr Berater hielt erneut inne und warf ihr einen vielsagenden Blick zu.
»Es gibt Elfen, die nicht so schnell durchschaut haben wie du, was für eine komplexe Angelegenheit das Regieren ist, meine Königin«, fuhr er fort. »Niall ist stur und nimmt nicht annähernd so bereitwillig Ratschläge an, wie es für einen Regenten gut und notwendig ist. Es sei denn, sie kommen von Irial. Das Arrangement, das die beiden getroffen haben, sieht vor, dass der ehemalige König den neuen König berät; so etwas ist noch nie da gewesen.«
Ashlyn versuchte die Zwischentöne zu entschlüsseln. »Also ist Irial Nialls Berater, und sie sind … was genau?«
»Irial ist wieder zurück in sein Haus gezogen … und wohnt jetzt bei dem neuen König der Finsternis«, sagte Tavish.
»Na und?«, gab sie zurück. »Du wohnst auch hier. Was ist dabei?«
Ihr Berater senkte den Blick. »Bei allem Respekt, meine Königin, ich hege dir gegenüber keinerlei amouröse Absichten. Ich bin Berater des Sommerhofs. Ich habe Miach, Keenans Vater, beraten und davor schon Miachs Vater.«
Sie unterdrückte ein Lachen, als sie Tavishs pikierte Miene sah.
»Nach einem Jahrtausend der Zwietracht haben Niall und Irial kürzlich wieder eine Art Frieden geschlossen«, fügte Tavish hinzu.
»Doch nun ist Irial verwundet. Und stirbt vielleicht.« Sie atmete tief ein und stieß dann einen langen Seufzer aus.
»Neben seiner Beratertätigkeit für Niall hat Irial sich auch um die weniger angenehmen Angelegenheiten des Hofes gekümmert. Obwohl er sich in der letzten Zeit sehr verändert hat, ist Niall nicht so grausam, wie es der König der Finsternis manchmal sein muss. Irial ist da … freier«, sagte Tavish sehr leise.
»Das wird ja immer besser.«
»Eben«, stimmte Tavish zu. »Und ich habe keinen Zweifel daran, dass Bananach Irial genau aus diesem Grund attackiert hat. Sie greift einzelne Höfe an, sobald sie eine Schwäche erkannt hat, und wenn es nach ihr geht, wird jeder Hof zerstört, der ihr nicht genug entgegensetzen kann.«
»Unser Hof ist nicht stark genug, um gegen einen anderen zu bestehen.« Ashlyn blickte auf und schaute in die düstere Miene ihres Beraters, bevor sie weitersprach. Sie wusste, in welche Richtung seine Argumentation ging, wusste seit Monaten, dass der Sommerhof nicht stark genug war. »Tavish …«
»Es gibt keine Möglichkeit, das zu ändern, meine Königin.«
»Er ist nicht mal hier, und er … Keenan und ich, wir …« Sie brach ab.
»Wenn wir verbreiten, dass du immer noch bereit bist zu erwägen, ganz und gar seine Königin zu werden, würde die Nachricht ihn vermutlich erreichen …«
»Wenn das etwas nützt, dann tu es.« Sie wandte den Blick nicht ab. »Vielleicht wird es Zeit, dass ich auch zu manipulieren anfange.«
»Wie du willst«, sagte Tavish.
Ashlyn wusste nicht, was für sie schwerer wog: ihre Erleichterung darüber, dass der König möglicherweise zurückkehrte, oder ihre Angst davor, dass Donia ihr Handeln als Bedrohung empfinden würde. Aber Donia ist zu klug dafür. Natürlich glaubte die Winterkönigin bereits jetzt, dass der Sommerkönig und die Sommerkönigin unweigerlich ein Paar werden würden, und manchmal glaubte Ashlyn, dass Seths Weigerung, wieder ganz in ihr Leben zu treten, damit zusammenhing, dass er es genauso sah.
Wenn wir uns entweder in dieses Schicksal fügen oder aber die Sicherheit unserer Höfe opfern müssen, weiß ich nicht, ob uns eine Wahl bleibt.
Neun
Far Dorcha stand wartend vor dem Haus des Königs der Finsternis. Im Innern verweilte der Schatten des fast toten Königs. Die Komplikationen, die Irial in seinen letzten Tagen verursacht hatte, sorgten für
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