Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
Fjola hatte feuchte Achselhöhlen.
Elisabet: Natürlich wollte sie oben liegen, das ist doch viel besser; aber es waren ganz schön abwechslungsreiche Jahre für dich.
Matthias: Ich weiß nicht, immerhin habe ich Verschiedenes ausprobiert und einen anderen Blick gewonnen, das ist wichtig, vielleicht sogar das Wichtigste überhaupt. Jetzt aber bin ich wieder hier und soll Lagerinn übernehmen, bekomme ein ordentliches Gehalt, ausreichend Freizeit, um meinen eigenen Interessen nachzugehen, genügend Urlaub, um ins Ausland zu reisen, und obendrein meine Prinzessin als Belohnung.
Ich bin keine Prinzessin.
Ich weiß, habe es nur so gesagt, oder bist du vielleicht eine Königin?
Red keinen Stuss, ich bin eine Hexe, und ich bekomme dich und nicht umgekehrt. Übrigens, während du unterwegs warst, ist hier einiges passiert, manches davon habe ich schon aufgezählt, aber noch nicht die Seitensprünge, Selbstmorde, den Rekordabsatz an Schlaftabletten und Antidepressiva, und, ja, meine Schwester schwimmt dreimal pro Woche im Meer, bei jedem Wetter, und die Kerle beobachten sie dabei mit Ferngläsern, und unser Kiddi Kinostar hat eine Lehrerin geheiratet, und Brandur hier kommt einem Titel als isländischer Meister im Fernschach immer näher, oder übertreibe ich jetzt, Brandur?
Der aber gab keine Antwort, sondern verdrückte sich hinter ein Regal mit Süßigkeiten, und Fjola nahm einen Karton mit Malta-Schokolade und begann ihn durchzuzählen. Elisabet erklärte: Brandur nimmt mit rund sechzig anderen an der Islandmeisterschaft im Postkartenschach teil, letztes Jahr stand sogar ein Artikel darüber im Morgunblaöiö. Es gibt eine Vorauswahl, ehe man teilnehmen darf, Anfänger kommen da nicht zum Zug. In der ersten Runde bekommt Brandur acht Gegner zugelost, und wenn er Weiß hat, schickt er acht Postkarten mit seinem ersten Zug los, dann wartet er auf die Antworten.
Erinnert mich an die Trolle, sagte Matthias.
Welche Trolle?
Hallo, rief der Troll, und hundert Jahre später kam Antwort von einem anderen Troll: Hallo!
Hör nicht auf ihn, Brandur, sagte Elisabet. Die Bunaöarbank stellt die Partien auf acht Brettern nach, und Brandur kommt jedes Mal, wenn er eine Postkarte geschickt oder bekommen hat, und führt den Zug aus, und wir anderen dürfen dann darüber brüten. Die Leute kommen von weit her, um sich die Züge zu notieren, aber niemand darf Brandur einen Rat geben, dann würde er disqualifiziert, und außerdem braucht er keine Hilfe.
Matthias schnuppert an einer Zigarette, im Kiosk besteht Rauchverbot, auch nicht mehr wie früher, sagt er und legt die Zigarette auf den Tisch, sie dreht sich zweimal um sich selbst, er holt tief Luft: Ich habe oft gegrübelt, wie es wohl sein wird, wenn ich dich wiedersehe, ob und wie du dich verändert hast, ob du dich freuen würdest oder ob es dir nicht einfach egal sein würde, und nicht zuletzt: was ich dabei fühlen würde. Brandurs rundes Gesicht kommt neben den Lakritzschnecken zum Vorschein, noch bis über die Stirn und die Halbglatze rot angelaufen. Elisabet streicht mit der Hand über ihre Wange hinauf, bis sie im dunklen Haar verschwindet. Ich habe auch darüber nachgedacht, fährt Matthias fort, nachdem er Elisabets Blick und dem Schweigen eine Weile standgehalten hat, wie es sein würde, hierher zurückzukommen in diesen Ort, der einfach nur winzig und so furchtbar unwichtig ist, wenn man sich draußen in der Welt aufhält; es reicht vielleicht schon, nach Reykjavik zu fahren, um das zu erkennen, dabei ist Reykjavik selbst nicht bedeutend.
Und jetzt bist du hier, sagt Elisabet.
Ja, sieht so aus. Matthias schaut über die Ladentheke und durch Brandur hindurch, der setzt sich neben Fjola, dann blickt Matthias zu Elisabet zurück und sagt: Gegen seine Gefühle kann man wenig machen, manchmal gar nichts. Ich bin gekommen, weil ich nicht anders konnte. Das sagt er leise, den Blick gesenkt, als würde er mit dem Fußboden reden. Was ist denn im Lager los, fragt er und hebt die Stimme, du hast gestern am Telefon von unerklärlichen Vorgängen gesprochen, vielleicht sogar Spuk, das ist keine Kleinigkeit … Sie sind doch zu zweit da, Davið und … wie heißt der andere noch mal?
Kjartan.
Genau. Kjartan und Davið. An den kann ich mich noch gut erinnern, ein verdammt kluges Kerlchen, wie im Übrigen die ganze Familie. Was macht der denn noch hier? Wieso ist er nicht an der Uni?
Er war dort, ist aber nach zwei Jahren wiedergekommen.
Und nicht wieder
Weitere Kostenlose Bücher