Sommermaerchen
sagte: „Sie wissen, dass ich gelegentlich bei
‚White’s‘ ein Spiel mitmache, aber hohe Einsätze sind nichts für mich. Gewiss werden Sie mich für sehr langweilig halten, doch ich ziehe es vor, mein Geld in meine Ländereien zu investieren, statt damit die Taschen eines anderen zu füllen.“
„Also im Gegensatz zu Sir Ronald“, meinte Edward Graham lachend. „Sie lehnen niemals ein Spiel ab, nicht wahr, Sir?“
„Wenn es sich um ein Kartenspiel handelt“, gab Sir Ronald leichthin zu. „Ich habe nun mal eine Leidenschaft für Karten. Vorige Woche spielte ich mit dem jungen Franklyn bis zum Morgengrauen.“
„Die Freuden des Junggesellendaseins“, meinte sein Gastgeber seufzend. „Eine Ehefrau würde Ihre nächtlichen Tätigkeiten gewiss einzuschränken wissen, Deforge!“
„Oho, wann habe ich Sie je davon abgehalten, genau das zu tun, was Sie wollten, Sir?“, verlangte Mrs Renwick zu wissen, die in diesem Moment dazukam. „Mein Gatte möchte Ihnen weismachen, sein Leben sei sehr spartanisch.“ Sie klopfte mit dem Fächer kurz auf Mr Renwicks recht ausladende Leibesfülle. „Nun, Gentlemen?
Sieht er so aus, als sei er in Gefahr dahinzusiechen?“
Eloise lachte und wandte sich Mrs Renwick zu. „Ich bin sicher, hier findet jeder etwas nach seinem Geschmack. Ein wirklich vorzügliches Buffet, Ma’am.“
„Vielen Dank, Lady Allyngham. Unterhalten Sie sich gut?“
„Ja, danke. Es ist ein sehr schöner Abend.“
„Aber Sie sind heute sehr still, meine Liebe, und ein wenig blass, glaube ich.“ Mrs Renwick kam näher. „Ich hoffe, Sie sind nicht krank?“
„Nein, nein, nur ein wenig müde.“
Mrs Renwick schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. „Zu viele Verabredungen?“
„Ich glaube, ich habe genug vom Stadtleben. Im Sommer ist es sowieso schöner auf dem Land.“
Mr Graham drehte sich zu ihnen um. „Meine liebe Lady Allyngham, Sie wollen uns verlassen?“
Eloise zwang sich zu einem Lächeln, doch plötzlich war sie es müde, allen etwas vorzuspielen. „Ich denke, ich werde bald wieder nach Allyngham Park zurückkehren.“
Lady Parham nickte verständnisvoll. „Deswegen waren Sie wohl auch heute Morgen bei Coutts’ Bank. Um vor der Abreise noch all Ihre Angelegenheiten zu regeln.“
„Nein“, erwiderte Eloise knapp. „Ich war bei keiner Bank.“
„Oh, ich war so sicher, Sie seien es gewesen.“ Lady Parham ließ ein perlendes Lachen hören. „Allerdings war die Dame verschleiert, also habe ich mich wohl getäuscht.“
„Es muss jemand anders gewesen sein“, sagte Eloise bestimmt. Sie wählte eine kleine Pastete aus und wandte sich ab, wobei ihr Blick auf Jack Clifton fiel, der sie nachdenklich betrachtete.
Jack hatte Lady Allyngham schon eine ganze Weile beobachtet. Ihre Unruhe war ihm aufgefallen. Immer wieder schaute sie zur Uhr, und ihr heftiges Leugnen, die Bank besucht zu haben, machte Jack hellhörig. Als sie ihn bemerkte, eilte sie so schnell davon, dass er den Gedanken aufgab, mit ihr zu sprechen. Bald danach verabschiedete sie sich von ihrer Gastgeberin und ging. Kurz entschlossen folgte er ihr.
Auf der Straße herrschte so dichter Verkehr, dass es Jack nicht schwerfiel, ihre Kutsche im Auge zu behalten, obwohl er zu Fuß war. Sie erreichten die Dover Street, und er hörte, wie Lady Allyngham den Kutscher anwies, in einer Stunde zurückzukommen.
Jack lächelte. Also führte sie doch etwas im Schilde! Hastig kehrte er zur King Street zurück. Er achtete nicht auf seine innere Stimme, die ihm vorhielt, wie wenig würdig es eines Gentlemans war, einer Dame hinterherzuspionieren. Tony Allyngham war ein guter Freund gewesen und hatte ihn gebeten, auf seine Witwe aufzupassen –
vielleicht nicht wortwörtlich, doch Jack war nicht bereit zuzugeben, dass ihn ein persönliches Interesse an Eloise Allyngham antrieb.
Knapp eine halbe Stunde später war er wieder in der Dover Street. Die Abendgarderobe hatte er gegen eine dunkle Reitjacke und Reithosen eingetauscht.
Ein Schal verbarg sein schneeweißes Krawattentuch. In einer kleinen Nebenstraße, verborgen vor neugierigen Blicken, hielt Robert sein Pferd bereit. Jack blieb unauffällig auf der anderen Straßenseite genau gegenüber von Lady Allynghams Haustür stehen und wartete.
Wie in vielen Gegenden Londons, lebten auch in der Dover Street die unterschiedlichsten Menschen Tür an Tür – angefangen von angesehenen Mitgliedern des ton bis zu Damen eher zweifelhaften Rufs, die zwar niemals eine Einladung
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