Sommermaerchen
hervor.
Charles senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Wir können dies später fortsetzen.
Wir könnten den Ball früher verlassen. Wenn ich es recht bedenke, müssten wir nicht einmal gehen ...“
Beatrice schwieg noch immer. Ihre Wut war so groß, dass sie kein Wort herausbrachte. Fest schlug sie ihm ins Gesicht, raffte die Röcke und rannte davon.
Behutsam die Stelle berührend, an der ihre Hand ihn getroffen hatte, verharrte Charles einen Augenblick reglos und sah ihr nach, ehe er sich umdrehte und ins Haus zurückging.
Lady Sinclair hatte sich bereits zur Nachtruhe begeben, sodass Beatrice das Haus unbemerkt von ihrer Tante betreten konnte.
Zurück in der Sicherheit ihres Zimmers, betrachtete sie ihr derangiertes Aussehen im Spiegel. Die Frisur war aufgelöst, die Spitze ihres Kleides am Dekolleté leicht eingerissen und der Stoff verschmutzt.
Sie konnte von Glück sagen, dass sie in diesem Zustand niemandem begegnet war.
Ihr Aussehen hätte zweifellos verraten, was sie getan hatte.
Indes war es auch kein Wunder, dass sie niemandem begegnet war. Sie hatte Lady Pelhams Haus nämlich nicht durch die Tür verlassen, sondern war über die niedrige Steinmauer geklettert, die das Nachbaranwesen von dem ihrer Tante trennte.
Beatrice ließ sich auf das Bett sinken. Sie hoffte, Lady Pelham und Lucy, ganz zu schweigen von den Gästen, würden nicht allzu sehr über ihr Verschwinden argwöhnen. Weil sie Gewissensbisse plagten, hatte sie Humphries zu Lady Pelham geschickt und ausrichten lassen, sie fühle sich unvermittelt unwohl und könne deshalb Lady Parberrys Ball nicht besuchen. Selbst wenn sie Zeit gehabt hätte, ihre Kleidung in Ordnung zu bringen, ihr Gefühlschaos ließ sich nicht so einfach ordnen.
Nach diesem Abend war nichts mehr so, wie es einmal war. Charles’ Kuss hatte Gefühle in ihr entfacht, die sie nie zuvor verspürt hatte, und nun ...
Indes war sie nicht nur aufgewühlt und verwirrt, sondern auch wütend. Wie konnte er es wagen, mit ihr zu spielen? Charles verstand nicht, warum sie den Wunsch hegte, eine Ehe einzugehen, da er einen solchen Wunsch selbst nicht verspürte. Was sollte sie jetzt bloß tun? Er hatte Gefühle in ihr geweckt, deren Existenz sie nicht einmal geahnt hatte; Gefühle, die sie nie würde vergessen können. Wie konnte sie sich nun noch mit jemandem wie Lord Asher zufriedengeben, nachdem sie wusste, wie schön es war, in Charles’ Armen zu liegen?
Plötzlich überkam sie ein entsetzlicher Gedanke. Was, wenn Asher gar nicht mehr in Betracht zog, sie zur Gemahlin zu gewinnen? Nach Jack Davenports Worten zu urteilen, hatte ihr Ausflug in den Garten bei einigen Gästen Misstrauen geweckt. Sie war nicht naiv, sie wusste, dass bereits weniger unschickliche Vorfälle den Ruf eines Mädchens ruinieren konnten.
Beatrice stöhnte auf und vergrub den Kopf im Kissen. Sie konnte nichts tun. Morgen würde sie weitersehen. Wenn sie Glück hätte, wäre sie am Abend bereits in Hampshire. Nach den Erfahrungen des heutigen Abends konnte sie unmöglich länger in London bleiben.
Sie fragte sich, ob Charles zu dem Ball gegangen war. Wahrscheinlich nicht. Sie hoffte jedenfalls, dass er ebenso wütend zu Hause saß wie sie, obwohl sie gewiss nur eine von vielen Frauen war, die Grund gefunden hatten, ihm eine Ohrfeige zu geben.
Brodelnd vor Zorn, hob Beatrice den Kopf vom Kissen. Oh, was würde sie dafür geben, wenn sie ihm ihre Meinung sagen könnte. Nun, da sie nicht mehr vor ihm stand, schossen ihr zahlreiche Beleidigungen durch den Kopf. Wäre sie vor Wut und Scham nicht so sprachlos gewesen, hätte sie ihm ihre Meinung an Ort und Stelle gesagt. Allerdings würde sie dazu keine Gelegenheit mehr haben, da ihr Entschluss feststand, am nächsten Tag abzureisen.
Da kam ihr plötzlich eine Idee, die verführerisch und närrisch zugleich war. Warum sagte sie ihm nicht gleich, was sie von ihm hielt? Sie würde ihn wohl nie wiedersehen, was hatte sie also zu verlieren? Sie wusste, dass Charles am Belgrave Square residierte. Sicher stand die Hausnummer in Tante Louisas Adressbuch.
Bevor ihr Verstand sie von diesem Irrsinn abbringen konnte, war sie auch schon aufgesprungen und schlüpfte in Pelisse und Schuhe.
Verstohlen schlich sie die Treppe hinunter ins Arbeitszimmer, schaute im Adressbuch nach und war gleich darauf auf dem Weg.
Durch das Landleben war sie weite Wege gewohnt, allerdings ziemte es sich nicht, dass eine Dame in den frühen Morgenstunden allein durch die Straßen
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