Sommermaerchen
Speisezimmer.
Charles und Jack schlossen sich ihnen an. Charles hielt Ausschau nach Beatrice und entspannte sich, als er sah, dass sie ihm direkt gegenübersaß. Doch seine Zufriedenheit bekam rasch einen Dämpfer. Zu ihrer Linken hatte man Lord Asher platziert, mit dem sie sich angeregt unterhielt. Jack saß an ihrer rechten Seite. Frech grinsend ließ er sich neben ihr nieder. Charles fragte sich, ob seine Mutter ihn mit dieser Sitzordnung bestrafen wollte. Er selbst saß zwischen Priscilla und Lavinia Pendleton. Die beiden Schwestern waren schon, wenn man sie einzeln traf, mit ihrem albernen Geplapper schwer zu ertragen. Sie verkörperten all das, was er an der Londoner Gesellschaft verabscheute. Charles lauschte angestrengt der Unterhaltung auf der anderen Seite des Tisches, konnte wegen des unaufhörlichen Geplauders der Pendleton-Schwestern indes kaum ein Wort verstehen. Einmal konnte er sich gerade noch zurückhalten, Lavinia zu sagen, sie solle endlich den Mund halten und ihre verfluchte Suppe essen.
Ihm entging jedoch nicht, dass sowohl Jack als auch Asher um Beatrices Aufmerksamkeit buhlten und wenig Interesse daran hatten, andere in ihr Gespräch einzubeziehen.
Charles seufzte erleichtert, als das Dinner endlich beendet war. Nachdem sie Zigarren und Portwein genossen hatten, gesellten sich die Herren wieder zu den Damen im Salon. Niemand würde vor zehn Uhr zu Lady Parberrys Ball aufbrechen, was bedeutete, dass er noch beinahe eine Stunde höfliche Konversation machen musste.
Fünf Minuten später hätte er seine Schwester am liebsten erwürgt. Charles hatte bereits mehrere Male versucht, sich Beatrice zu nähern. Jedes Mal indes war Lucy mit ihr davongeschlendert, kurz bevor er die beiden erreichte, oder hatte, schlimmer noch, Asher oder Jack oder irgendeinen anderen Tunichtgut eingeladen, sich an ihrem Gespräch zu beteiligen. Charles hatte den ganzen Abend noch kein einziges Wort mit Beatrice wechseln können, von seiner kurzen Begrüßung einmal abgesehen. Gleichwohl würde er sich nicht zum Narren machen, indem er versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erringen. Er beschloss, sich ins Arbeitszimmer zurückzuziehen und dort zu warten, bis die Gäste zu Lady Parberry aufbrachen.
Im Arbeitszimmer schenkte er sich ein großes Glas Brandy ein und versuchte, sich zu entspannen. Es gelang ihm nicht. Das Stimmengewirr der Gäste drang zu ihm herüber, und jedes Mal, wenn er Beatrices melodisches Lachen hörte, verkrampfte er sich und fragte sich unwillkürlich, worüber sie lachte oder mit wem.
Schließlich konnte er es nicht länger ertragen. In der Hoffnung, dass die kühle Nachtluft ihm wieder einen klaren Kopf verschaffen würde, ging er auf die Terrasse hinaus. Dort hörte er die Stimmen der Gäste nicht mehr und war, wie er feststellte, völlig allein.
11. KAPITEL
Der Halbmond warf sein silbernes Licht auf die steinerne Terrasse, die eine niedrige Mauer umschloss. Einige Stufen führten hinunter in den Garten, dessen sommerliche Blütenpracht im Dunkeln nicht auszumachen war. Charles lehnte sich an die Hausmauer, damit man ihn von den Fenstern des Salons nicht sah.
Wann er sich zuletzt so verwirrt oder seltsam einsam gefühlt hatte, wusste er ebenso wenig, wie er verstand, warum er überhaupt derlei Gefühle verspürte. Bisher hatte er die Frauen in seinem Leben immer in zwei Kategorien einteilen können: diejenigen seiner Familie, die er liebte und mit seinem Leben beschützen würde, und diejenigen, die er verführte und dann verließ. Beatrice passte weder in die eine noch in die andere Kategorie. Er begehrte sie so sehr, dass er sie kaum anblicken konnte, ohne in Erregung zu geraten, und dennoch genoss er ihre Gesellschaft ebenso sehr wie die eines alten Freundes. Solche Gefühle waren ihm völlig neu, und das Schlimmste war, er konnte mit niemandem darüber sprechen, weil es zu intim war.
Das Quietschen der sich öffnenden Terrassentüren riss ihn aus seinen Gedanken.
Noch näher drückte sich Charles an die Wand, in der Hoffnung, nicht gesehen zu werden. Er war nicht in der Stimmung, Nettigkeiten auszutauschen. Plötzlich hörte er leise Schritte, die sich näherten.
Als er sich leicht vorbeugte, um nachzusehen, wer da kam, stockte ihm der Atem.
Es war Beatrice. Das Mondlicht verlieh ihr etwas Feenhaftes. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und ging, ohne nach rechts und links zu blicken, schnurstracks zur Mauer. Dort beugte sie sich über die Balustrade und blickte in den im Dunkel
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