Sommermaerchen
trat und er sie wiederum auf die Straße stieß.
Charles rannte nun doch. Als er die beiden erreichte, versetzte er dem Mann einen Stoß, sodass dieser zu Boden ging. Dann kniete er sich zu Beatrice, suchte nach Anzeichen, ob sie verletzt war. Sie nickte ihm wortlos zu und gab ihm so zu verstehen, dass ihr nichts geschehen war. Zwar fühlte sie sich zittrig und ängstlich, aber sie wusste auch, es hätte sie ein weitaus schlimmeres Schicksal ereilen können.
Beruhigend legte Charles ihr die Hand auf die Schulter und bedeutete ihr mit eindringlichen Blicken, sich ja nicht zu bewegen. Zum ersten Mal widersprach sie ihm nicht.
Charles wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Halunken zu, der inzwischen versuchte, davonzukriechen, und zog ihn am Hemd hoch.
„Ich wollte ihr nichts tun ...“, stammelte der Mann. „Wollte nur ihre Börse ...“
Charles sah ihn verächtlich an, verpasste ihm einen Kinnhaken und ließ ihn wieder zu Boden fallen. Ohne sich weiter um den Kerl zu kümmern, drehte er sich um, nahm die erstaunte Beatrice auf die Arme und machte sich auf den Weg zu seinem Haus.
Sie war zu überrascht, um zu protestieren – einen Augenblick nur. Dann fand sie ihre Stimme wieder und war so wütend wie zuvor. „Lassen Sie mich sofort runter, Lord Pelham!“, forderte sie aufgebracht.
Charles schenkte ihr keine Beachtung. Sie zappelte, doch darauf hielt er sie nur noch fester.
„Charles“, zischte sie. „Lass mich runter. Sofort!“
Er blieb stehen. „Versprichst du mir, nicht davonzulaufen?“
Beatrice überlegte einen Moment, denn genau das war ihre Absicht gewesen. Indes wusste sie auch, dass er sie nicht absetzen würde, wenn sie es nicht versprach, und sie brach ihr Wort niemals. „Na schön“, willigte sie schließlich widerstrebend ein.
„Aber sag mir wenigstens, wohin du mich bringst. Ich muss nach Hause.“
Er setzte sie behutsam ab. „Du kannst nicht allein nach Hause laufen. Ich wohne ganz in der Nähe, mein Kutscher wird dich bringen.“
Beatrice richtete sich auf und zuckte zusammen, als ihr ein stechender Schmerz durchs Bein schoss.
„Was ist?“, fragte er besorgt.
Sie zog eine Grimasse. „Mein Knöchel.“
„Kannst du laufen?“
„Ich denke ja“, sagte sie leise. Ihr Fuß tat höllisch weh, aber sie wollte verdammt sein, wenn sie Charles erlauben würde, sie über den Belgrave Square zu tragen.
„Willst du den Mann einfach da liegen lassen?“
Er sah zurück. „Ja, ich muss dich nach Hause bringen, und er ist eine Weile außer Gefecht gesetzt. Wenn er aufwacht, wird er sicher gleich das Weite suchen.“ Charles geleitete Beatrice die Straße hinunter – zumindest versuchte er es, doch sie blieb beharrlich stehen.
Verärgert wandte er sich ihr zu. „Wo liegt das Problem, Beatrice?“
Es gab tatsächlich ein Problem – sogar ein recht großes. Sie wollte nicht mit ihm nach Hause gehen, obwohl sie ihn ursprünglich in seiner Residenz hatte aufsuchen wollen. Nun aber, da die Vernunft wieder die Oberhand gewonnen hatte und ihre Wut abgekühlt war, musste sie sich widerwillig eingestehen, dass es eine ausgesprochene Dummheit wäre, mit ihm zu kommen. Zwar hatte Charles sie vor diesem Schuft gerettet und wollte ihr jetzt lediglich helfen, dennoch traute sie ihm nicht. Offen gestanden traute sie sich selbst nicht. Sie glaubte nicht, dass sie die Kraft aufbringen würde, ihm zu widerstehen. Und ihr Leben war an diesem Abend bereits genug durcheinandergewirbelt worden.
All dies aber konnte sie ihm natürlich nicht eingestehen. „Es gibt kein Problem, ich habe mir nur überlegt, ob ich nicht eine Droschke nehmen könnte.“
„Leider sind heute Abend keine Droschken in der Nähe. Außerdem befindet sich mein Haus gleich am anderen Ende der Straße.“
In der Annahme, sie sei zur Vernunft gekommen, wollte Charles weitergehen. Doch sie rührte sich nicht von der Stelle.
„Was um Himmels willen ist jetzt wieder?“, fragte er.
„Ich ... Ich möchte lieber gleich zu mir nach Hause gehen.“
Charles sah sie einen Augenblick forschend an, dann sagte er knapp: „Nein.“
Bevor sie weitere Einwände erheben konnte, überraschte er sie mit einer Strafpredigt: „Was zum Teufel treibst du überhaupt um diese Uhrzeit allein auf der Straße? Hast du völlig den Verstand verloren?“
Beatrice sah ihn verblüfft an. Sie wusste, dass sie ihn verärgert hatte, aber warum er derart in Wut geriet, konnte sie nicht nachvollziehen. Möglicherweise hatte ihre Gegenwart seine
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