Sommermaerchen
Retikül.
Dann schloss sie die Augen und ließ sich von dem Schaukeln der Kutsche in den Schlaf wiegen.
Drei Stunden später, die Kutsche fuhr bereits die Auffahrt ihres Zuhauses hinauf, wachte sie auf. Eifrig nahm sie jedes kleine Detail der vertrauten Umgebung in sich auf: den sich dahinschlängelnden Bach, die Apfelbäume, die sanft abfallenden Hügel am Horizont hinter dem Haus ... Tief aufseufzend dachte sie, dass es keinen schöneren Ort gab.
Die Kutsche hielt, und Beatrice stieg aus, in der Erwartung Eleanor und Helen aus dem Haus stürmen zu sehen, um sie zu umarmen. Dicht gefolgt von den bellenden und um Streicheleinheiten bettelnden Jagdhunden, denen wiederum ihr Vater auf den Fersen sein würde.
Natürlich hatte ihre Familie nicht mit ihr gerechnet, und sie fürchtete sich ein wenig vor den Fragen, die unweigerlich auf sie einströmen würden.
Während sie die Treppe zum Portal hinaufging, erschien ein strahlendes Gesicht an einem der oberen Fenster.
„Hallo, Bea!“, rief ihre dreizehnjährige Schwester Helen. „Ich dachte, du kommst erst zurück, wenn du vermählt bist. Wo ist dein Gatte?“
Beatrice lachte und winkte ihrer Schwester zu. „Eine böse Hexe hat ihn in einen Frosch verwandelt. Er wartet nun darauf, von dir mit einem Kuss erlöst zu werden.“
Beatrice hatte ihre jüngste Schwester in London schrecklich vermisst. Sie wusste indes, dass der kleine Wildfang ihr schon bald wieder den letzten Nerv rauben würde.
„Zu schade“, sagte Helen grinsend. „Vater lässt mich niemanden küssen.“
In diesem Augenblick kam Eleanor um die Hausecke, die Nase in ein Buch gesteckt.
Als sie aufsah und Beatrice entdeckte, wurden ihre Augen groß vor Erstaunen. „Bea!
Was machst du hier? Ich dachte, du bleibst noch mindestens einen Monat in der Stadt.“
Beatrice zuckte lächelnd die Schultern. „Das ist nicht die Begrüßung, die ich erhofft habe, Ellie, aber um deine Frage zu beantworten, ich habe beschlossen, früher abzureisen. Die Saison unterschied sich kaum von der vorigen, und Tante Louisa wurde allmählich recht anstrengend.“
Eleanor nickte mitfühlend, die zwei Wochen, die sie bei ihrer Tante in der Stadt verbracht hatte, waren ihr noch allzu gut in Erinnerung. Ihr Mitgefühl schwand jedoch rasch, und in ihre Augen trat ein wissender Ausdruck. „Da steckt doch gewiss mehr dahinter, wenn du ganz ohne vorherige Ankündigung nach Hause reist. Oh, bitte verrate mir, Bea, in welchen delikaten Skandal bist du verwickelt?“
Helen beugte sich so weit wie möglich aus dem Fenster, damit ihr nichts entging.
„Es gibt keinen Skandal, ihr Gänse. Helen, zurück ins Zimmer mit dir. Ich muss mit Vater sprechen.“
Eleanor sah sie durchdringend an. „Ist auch wirklich alles in Ordnung, Bea? Vater ist nicht gerade bester Laune.“
Sie nickte. „Ja, ich möchte ihm lediglich mitteilen, dass ich zurück bin.“
Helen beugte sich erneut aus dem Fenster. „Er wird dich umbringen, Bea.“
„Und warum, wenn ich fragen darf?“, rief sie zurück.
Helen lachte. „Er war so froh, dass du eingewilligt hast, diese Saison in London zu verbringen. Er hat sogar angefangen, über Enkelkinder zu reden. Er wird sehr enttäuscht sein.“
„Schenk ihr keine Beachtung“, sagte Eleanor und warf Helen einen tadelnden Blick zu, ehe sie sich wieder an Beatrice wandte. „Vater ist lediglich verärgert, weil einer der Hunde heute Morgen ausgebüxt ist und den Hühnern von Mrs Jenkins einen gehörigen Schrecken eingejagt hat.“
Beatrice krauste besorgt die Stirn. „Ich hoffe, dem Hund ist nichts geschehen.“
„Nein. Mrs Jenkins hat ihm ein Seil umgebunden und ihn persönlich zurückgebracht.“
Eleanor kicherte. „Oh, ich wünschte, du wärst früher gekommen und hättest es gesehen. Es war so komisch. Sie ist förmlich zur Tür hereingestürmt. Ich habe noch nie jemanden so vor Wut kochen sehen. Unser armer Vater war mehr in Sorge um den Hund denn um sie oder ihre Hühner.“
Beatrice lachte, froh wieder zu Hause zu sein. Ein ausgebüxter Hund, der im Dorf für Aufruhr sorgte – mehr Aufregung hatte Sudley nicht zu bieten, und nach ihren letzten Erfahrungen konnte sie mehr Aufregung auch nicht vertragen. Manche Menschen mochten Romantik und Abenteuer genießen, ihr jedoch war es für alle Zeiten vergällt. Von jetzt an würde sie ein geruhsames, abgeschiedenes Leben auf dem Land führen. Kein sehnsüchtiger Gedanke an breite Schultern sollte je wieder ihre Fantasie beflecken.
14.
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