Sommermaerchen
dankbar über Mrs Hesters Redseligkeit. Charles würde ihr kaum etwas über seine Vergangenheit verraten, aber sie spürte, dass sie ihm sehr wichtig war.
„Es gab auch ein Gemälde von Lord Pelham mit seinen beiden Jungen ...“, sagte die Haushälterin, während sie Beatrice durch den langen Korridor führte. „Allerdings habe ich es seit Jahren nicht mehr gesehen. Vermutlich hat die Familie es mit nach London genommen. Natürlich habe ich nie danach gefragt.“ Sie blieb vor einem großen Gemälde stehen. „Das ist der verstorbene Lord Pelham.“
Beatrice blinzelte. Das Bild hätte ein Porträt von Charles sein können, so stark war die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn. Der verstorbene Lord Pelham hatte das gleiche schwarze Haar, die gleichen strahlend grünen Augen.
Sie trat einen Schritt zurück, um das Gemälde besser begutachten zu können.
Charles war seinen Vater ähnlich und doch auch wieder nicht. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, worin der Unterschied bestand. Er lag in den Augen. Charles’
Vater lächelte auf dem Bild nicht, doch Beatrice konnte ihn förmlich lachen hören, spürte, dass er glücklich war. Seine grünen Augen funkelten vor Freude und strahlten einen inneren Frieden aus, den sie in den Augen ihres Gatten noch nie bemerkt hatte.
Beatrice hatte Charles nie für unglücklich gehalten – gewöhnlich war er immer zu Scherzen aufgelegt und lachte oft –, doch beim Anblick dieses Porträts wurde ihr klar, dass er nie so glücklich war, wie er vorgab zu sein. Und gewiss verspürte er keinen inneren Frieden. Eine plötzliche Traurigkeit überkam sie.
„Sie waren eine so glückliche Familie“, sagte Mrs Hester. „Es war eine reine Freude für sie zu arbeiten. Und dann diese Tragödie. Ich bin froh, dass Lord Charles sich nun endlich vermählt hat. Bald werden wir hier wieder Kinder haben.“
Beatrice lächelte matt. Sie und Charles hatten nie über dieses Thema gesprochen, aber sie war sich sicher, dass er keine eigenen Kinder wollte. Er hatte ihr ja unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er sein früheres Leben nicht aufgeben wollte, und dazu gehörte nun einmal keine Familie.
Was aber, wenn sie guter Hoffnung wäre? Würde Charles sich in diesem Falle ändern? Sie glaubte es nicht.
„Ist Ihnen nicht wohl, Mylady?“, fragte Mrs Hester besorgt.
„Hm? Oh, tut mir leid. Mir geht es gut. Ich war nur in Gedanken.“
„Ah. Es liegen auch einige anstrengende Tage hinter Ihnen, da bin ich sicher. Wie wäre es mit einer schönen Tasse Tee, bevor ich Sie weiter durchs Haus führe?“
Beatrice nickte. Ehrlich gestanden konnte sie etwas viel Stärkeres vertragen als Tee.
Charles hegte nicht die Absicht, zu Beatrice nach Pelham House zurückzukehren, weder am Ende der Woche noch sonst irgendwann. Er hatte auch keine dringenden Geschäfte in der Stadt zu erledigen, dafür aber bereits jede Menge Ausreden parat, warum er in der Stadt bleiben musste. Keine davon kam allerdings der Wahrheit auch nur nahe.
Jack amüsierte das Verhalten seines Freundes ungemein. „Ich hätte nie gedacht, einmal den Tag zu erleben, an dem ein eingefleischter Junggeselle wie du in den Stand der Ehe tritt, um hernach aus seinem Zuhause zu fliehen, weil er Angst vor der eigenen Gemahlin hat. Traurig, traurig.“
Charles starrte angestrengt an die Wand, bemüht dem Drang zu widerstehen, seinem Freund die Faust ins Gesicht zu rammen. Langsam zählte er bis zehn. „Ich habe keine Angst vor meiner Gattin, ich ziehe es lediglich vor, getrennt von ihr zu leben. Sie lebt gerne auf dem Land, und mir ist Pelham House gleich.“
„Du willst getrennt von ihr leben?“, fragte Jack überrascht. „Was sagt sie denn dazu?“
„Ich hab es ihr noch nicht gesagt“, antwortete Charles ruppig.
Jack runzelte die Stirn. „Du hast es ihr nicht gesagt?“
„Bist du schwerhörig?“
Jack ignorierte die Bemerkung. „Du bist einfach gegangen? Ohne Abschiedsbrief?“
„Nein“, gab Charles barsch zurück. „Ich habe ihr geschrieben, dass ich Geschäfte zu erledigen habe und Ende der Woche zurückkomme.“
„Das hast du aber nicht vor?“
„Nein.“
Schweigend sahen sie einander an, schließlich meinte Jack: „Beatrice ist gar nicht so übel, weißt du. Ihre Zähne sind ganz und gar nicht schief, wie du mir weismachen wolltest. Du hättest es weitaus schlechter treffen können.“
Charles spürte eine unerklärliche Wut in sich aufsteigen, denn Jacks Worte ließen unwillkürlich wieder die
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