Sommermaerchen
sie war davon ausgegangen, dass sie zumindest gemeinsam aufwachen würden. Dass er sie allein ließ, kam für sie völlig unerwartet, hatte sie doch geglaubt, er hege auch Gefühle für sie. Offenbar hatte sie sich getäuscht. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie zu wecken, bevor er ging.
Seufzend sank sie in die Kissen. Sein Verhalten sollte sie nicht überraschen. Ich will dich nicht heiraten, aber ich will dich, hatte er zu ihr gesagt. Sie hatten die Vereinbarung getroffen, beide ihr eigenes Leben zu führen – natürlich diskret. Sie hatte kein Recht, sich nun verletzt zu fühlen.
Das änderte allerdings nichts daran, dass sie Kummer verspürte. Und Wut.
Sie stand auf und wählte ein schlichtes Kleid, das sie ohne Megs Hilfe anziehen konnte. Ihre Zofe würde nur unangenehme Fragen stellen, die sie nicht beantworten wollte. Nachdem sie ihr Haar gebürstet hatte, ging sie nach unten, entschlossen nicht in Selbstmitleid und verletztem Stolz zu schwelgen.
In der Halle traf sie auf Mrs Hester, die Staub wischte. „Guten Morgen, Lady Pelham.
Darf ich Ihnen das Frühstückszimmer zeigen?“
Beatrice blinzelte, der fremde Klang ihres neuen Namens verwirrte sie. „Oh, guten Morgen, Mrs Hester. Später vielleicht.“
„Wo ist Lord Pelham an diesem schönen Tag? Ich habe ihn noch gar nicht gesehen.“
Beatrice zwang sich zu einem Lächeln. „Er muss sich um dringende Angelegenheiten in der Stadt kümmern.“
„In der Stadt! Da überrascht es mich, dass Sie überhaupt gestern Abend und nicht später angereist sind. Erwarten Sie ihn heute zurück?“
Beatrice schüttelte den Kopf, Tränen brannten in ihren Augen. „Ich fürchte, er wird erst Ende der Woche zurückkehren. Etwas Wichtiges bedarf seiner Aufmerksamkeit.
Vielleicht könnten Sie mir das Haus zeigen?“
In Wahrheit fürchtete Beatrice, dass Charles überhaupt nicht mehr zurückkehren würde. Hätte er in ihrer Nähe bleiben wollen, wären sie sicherlich erst nach Erledigung seiner Geschäfte aus London abgereist. Was, wenn er beabsichtigte, sie auf dem Landgut sitzen zu lassen?
Ihren Kummer spürend tätschelte Mrs Hester ihre Hand. „Ich zeige Ihnen gerne das Haus, und Wilson kann Sie später auf dem Anwesen herumführen, wenn Sie möchten.“
Beatrice nickte, froh eine mitfühlende Seele gefunden zu haben. „Ja, das wäre nett.“
Mrs Hester legte den Staubwedel auf einen Tisch. „Die Eingangshalle macht wohl leider nicht den besten Eindruck. Vermutlich sind kleinere Schönheitsreparaturen notwendig.“
Beatrice sah sich um. Der Teppich war abgetreten, und die Sonne hatte die Vorhänge ausgebleicht. An den Wänden blätterte die Farbe. Kleinere Schönheitsreparaturen?
Wohl kaum. Hier war eine gründliche Renovierung nötig.
Beatrice war indes entschlossen, sich freundlich zu zeigen. „Die Halle mag zwar karg wirken, aber sie ist makellos sauber. Vielleicht könnte ein wenig Farbe für größere Behaglichkeit sorgen.“
Mrs Hester nahm dies erfreut zur Kenntnis. „Farbe wäre ein guter Anfang. Werden Sie hier leben, Mylady? Ich hoffe, ich bin nicht zu neugierig.“
Beatrice schüttelte den Kopf. „Nein, das sind Sie nicht. Und um Ihre Frage zu beantworten, ich weiß es nicht, wir hatten noch keine Gelegenheit darüber zu sprechen.“
„Nun, ich hoffe, Sie werden hier leben. Es ist eine Schande, ein solch schönes Haus leerstehen zu lassen. Und ...“, fügte sie vielsagend hinzu, „es ist der ideale Ort, um Kinder großzuziehen.“
„Ach tatsächlich?“, fragte Beatrice, in der Hoffnung, Mrs Hester könnte etwas – nur eine winzige Kleinigkeit – über den Mann enthüllen, der sich ihr gegenüber so verschwiegen gab.
Die Haushälterin nickte. Sie genoss es offenbar, in Erinnerungen zu schwelgen. „Ja, ich weiß noch genau, wie viel Spaß Lord Charles und sein Bruder hier hatten. Lady Lucy ebenfalls. Pelham House war damals noch voller Leben – nicht wie jetzt, mit einigen alten Bediensteten, die hier für Ordnung sorgen. Die Kinder hatten es faustdick hinter den Ohren, das kann ich Ihnen sagen.“
Beatrice horchte ob der Erwähnung von Charles’ Bruder auf. „Mein Gatte und sein Bruder standen sich also sehr nahe?“
„Oh ja. Natürlich haben sie auch gestritten, wie Brüder das tun, aber im Grunde waren sie ein Herz und eine Seele und haben ihren Vater aufrichtig geliebt.“ Sie hielt inne. „In der Galerie befindet sich ein Porträt des verstorbenen Lords. Möchten Sie es sehen?“
Beatrice nickte,
Weitere Kostenlose Bücher