Sommermond
die Aufmerksamkeit desjenigen auf sich gerissen, den Alex als seinen Feind schimpfte, öffnete sich in genau diesem Moment die Tür. Der Spanier trat ein. Im Schlepptau Juan und Rafael.
Da Alex sich daran zurückerinnerte, dass der Spanier ihm diesen Besuch am nächsten Morgen hatte abstatten wollen, schlussfolgerte er, dass er die ganze Nacht über geschlafen haben musste. Wenn er sich also nicht täuschte, befand er sich seit dem Überfall an der Elbe nun seit zwei Nächten, einem dazwischen liegenden Tag und einem Morgen in den Fängen des Pokerclans. Das war zwar nicht sonderlich beruhigend, gab ihm aber in groben Zügen ein Zeitgefühl zurück, mit dem er sich sofort etwas besser und sicherer fühlte.
Heute trug der Spanier einen grauen Anzug, darunter ein pechschwarzes Hemd. Rafael spielte nicht wie üblich mit seiner Pistole, hielt seine Hand aber griffbereit in der Jackentasche, in der sie sich befand. Juan stand neben ihm. Auf seiner linken Wange glänzte ein frischer Bluterguss. Sofort durchzog Alex ein kalter Schauer. Er konnte sich nur zu gut ausmalen, wer verantwortlich dafür war. Vermutlich hatte sich Rafael mit ihm angelegt, nachdem Juan ihm am Vortag um einen Teil seiner Autorität beraubt hatte, indem er Rafael unaufgefordert von Alex ferngehalten und dafür sogar noch eine Bestätigung seines Bosses erhalten hatte. Dass das Rafael nicht passte, war klar. Er war kein Kerl, der sich gern in etwas hineinreden ließ.
„Wie ich sehe, bist du jetzt wach“, begann der Spanier das Gespräch. „Als wir vorhin nach dir gesehen haben, hast du dagelegen wie eine tote Ratte.“
Alex sah zu ihm auf und war bemüht, sich keine Emotionen anmerken zu lassen. Weder Angst noch Wut. Diese Genugtuung gönnte er dem Spanier nicht.
„Ich hab‘ Durst“, erwiderte er trocken.
„Interessiert mich das?“, fragte der Spanier. Er wandte sich erst an Juan, dann an Rafael. „Hm? Interessiert uns das?“
Juan blieb regungslos stehen. Rafael grinste dämlich.
„Bevor ich nichts zu Trinken krieg‘, sag‘ ich gar nichts“, fügte Alex hinzu.
Beim Sprechen kratzte es in seiner Kehle. Er klang heiser.
Der Spanier stand einen ganzen Moment da und wirkte nachdenklich. Dann fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen und nickte.
„Juan“, befahl er, „hol ihm etwas Wasser!“
Der junge Südländer gehorchte wortlos. Er trat zur Tür, zog sie auf und verschwand im Flur. Seine Schritte klangen hallend ab.
Alex starrte zum Spanier. Jegliches Angstgefühl war von ihm gewichen. Vielleicht lag das daran, dass er nun eine Entscheidung getroffen hatte, mit der er vorerst leben konnte. Was er später mit ihr anstellen würde, war eine andere Sache.
Im Raum war es still geworden. Alex ließ seinen Blick zu Rafael schweifen, der ununterbrochen auf einem kleinen Zahnstocher kaute. Das hölzerne Stäbchen wanderte von einem Mundwinkel zum anderen und kippte bei jedem Biss vor und zurück. Alex musterte ihn noch eine ganze Weile. Seiner Meinung nach war Rafael böser und kaltblütiger als der Spanier und drohte dessen Nachfolger zu werden. Binnen Sekunden fand ein kurzes Kopfkino in Alex statt. Er stellte sich Rafael als Boss vor, in einer Situation wie dieser, und kam zu dem Schluss, dass er unter dessen Führung längst nicht mehr leben würde. Rafael würde alles und jeden töten, ohne mit der Wimper zu zucken.
Als wieder Schritte im Flur zu hören waren, riss sich Alex aus den Gedanken. Kaum später trat Juan durch die Tür, in seiner Hand eine neue Flasche Wasser. Ohne auf eine Anweisung des Spaniers zu warten, trat er vor und reichte sie Alex. Der nahm sie dankend an, drehte die Verschlusskappe ab, setzte das harte Plastik an seinen Mund und kippte die angenehm kühle Flüssigkeit seinen Schlund hinunter. Er spürte, wie die Masse in seinen Magen floss und sich dort wie in einem Beutel sammelte, der sich mit jedem Schluck weiter ausdehnte. Erst als er Luft holen musste, setzte er die Flasche ab und atmete tief durch. Er hatte sie bis zur Hälfte geleert. Sein Magen gluckerte bei jeder Bewegung, doch dafür brannte seine Kehle nicht mehr. Er drehte die Flasche wieder zu und räusperte sich laut.
„Und ich hab‘ Hunger“, sagte er dann.
Der Spanier schaute ihn einen Moment kritisch an, bevor er kurz schnaubte.
„Spiel keine Spielchen mit mir!“, erwiderte er und klang bedrohlich.
Alex nickte kaum merklich. Das tat er irgendwie automatisch.
„Ich hoffe für dich, dass du eine Entscheidung getroffen hast“,
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