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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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frische Brise ins Gesicht. Alex atmete tief ein und ließ den Sauerstoff ungehindert bis in die kleinsten Verzweigungen seiner Bronchien strömen. Er öffnete die Augen, und - obwohl der Schal recht stramm gezurrt war - schaffte es etwas Tageslicht an seinen Nasenflügeln vorbei. Alex hätte fast vor Übermut gelacht, wenn ihn sein Verstand nicht augenblicklich an seine Probleme erinnert hätte. So hielt seine Freude an der trügerischen Freiheit nur einen kurzen Moment, bevor er sich dessen entsann, fortan wesentlich schlimmer gefangen zu sein als je zuvor.
    Ein hohes FIEPFIEP öffnete einen Wagen. Etwa zwei Meter weiter wurde aus dem festen Asphalt unter seinen Füßen weicher Boden, der beim Auftreten nachgab. Entfernt hörte Alex eine Straße.
    Dann wollte er wie gewohnt weitergehen, wurde aber schlagartig zurückgehalten. Irritiert blieb er stehen und hörte, wie eine Wagentür geöffnet wurde. Einen kurzen Moment später drückte jemand seinen Kopf herunter und schubste ihn auf die Rückbank. Alex tastete blind um sich herum, richtete sich aus der halb liegenden Position auf und setzte sich. Neben ihm konnte er Juan riechen. Ja. Er konnte ihn nicht sehen, aber er konnte ihn riechen. Juan roch nach einem Obststand. Nach Zitronen, Limetten und Orangen.
    „Alles klar?“, flüsterte Juan.
    Alex öffnete seinen Mund, um zu antworten. Doch als eine weitere Tür (dieses Mal vorn) aufgerissen wurde, schloss er ihn wieder. Der Spanier stieg ein. Das erkannte Alex an dessen leisen Aufstöhnen. Als er sich hinsetzte, bewegte sich der ganze Wagen mit. Er zog die Tür zu und startete den Motor.
    „Was ist mit Rafael?“, fragte Juan.
    „Der kommt nach“, antwortete der Spanier. „Er beseitigt die Spuren.“
    „Und ich?“, fragte Juan. „Ich hab‘ doch nicht mal ‘ne Knarre!“
    Alex wusste, dass Juan dies nur sagte, weil er seine Rolle gut zu spielen wusste. Natürlich hatte er keine Angst vor Alex. Warum auch?
    „Der wird sich nicht mehr wehren“, erwiderte der Spanier. Er fuhr ein Stück rückwärts und wendete. „Ist doch so, oder?“, fragte er weiter.
    Alex musste stark schlucken, bevor er nickte. Als ihm bewusst wurde, dass der Spanier vermutlich mit anderen Dingen beschäftigt war, als durch den Innenspiegel zu ihm nach hinten zu schauen, fügte er ein schlichtes „Ja“ hinzu.
    Jetzt bewegte sich der Wagen vorwärts und fuhr langsam über ruckeligen Grund.
    „Er ist jetzt einer von uns“, fuhr der Spanier fort.
    Alex konnte sich gut vorstellen, wie sich ein schäbiges Grinsen auf seine Lippen legte.
    „Und er wird seine Sache gut machen“, fügte der Spanier hinzu und klang schon fast ein wenig stolz. „Habe ich recht?“
    Dieses Mal nickte Alex nur – egal, ob der Kerl ihn nun sah oder nicht.
    Nach einer letzten kurzen Erhöhung, über die der Wagen mit einem dumpfen Knall hinüberfuhr, war der unebene Weg zu Ende. Durch die geschlossenen Scheiben konnte Alex das Rauschen der vorbeifahrenden Autos einer Schnellstrecke hören. Der Spanier blieb eine ganze Weile stehen, versuchte sich offenbar einzufädeln, bis er schließlich kräftig einschlug und so rasant losfuhr, dass der Motor heiser aufschrie.
    Alex hatte sich dabei derart erschrocken, dass er sich unbewusst mit der rechten Hand in das Polster der Rückbank und mit der linken in Juans Oberschenkel gekrallt hatte. Als er dies bemerkte, ließ er sofort von ihm ab und klemmte die Hand stattdessen zwischen seine Beine.
    „Wozu die Augenbinde?“, fragte er dann.
    Der Spanier lachte hässlich auf.
    „Das kannst du dir doch selbst beantworten, nicht? Sonst bist du doch auch so ein erbärmlicher Klugscheißer!“
    Alex‘ Augenbrauen zogen sich unter dem Schal zusammen. Dabei blieben einzelne Wimpern an dem Stück Stoff hängen und lösten sich mit einem kurzen Ziepen wieder.
    Der Spanier wechselte den Fahrstreifen und nahm Alex‘ kurzes Schweigen als Anlass, ihm die Worte aus dem Mund zu nehmen.
    „Du sollst nicht wissen, wo wir hinfahren“, erklärte er. „Dieses Mal nicht.“
    Alex fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Er wurde nachdenklich.
    „Sieh es einfach als gutes Zeichen!“, fügte der Spanier hinzu. „Als gutes Zeichen, dass ich mein Wort halte.“
    In Alex‘ Kopf begann es zu rattern. So laut, dass er glaubte, in seinem Verstand wären gleich mehrere Fernseher auf einmal angesprungen. Systematisch schaltete er sie ab und blieb am Ende bei nur einem Programm hängen, in dem sein eigenes Ich in Form eines

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