Sommermond
das Licht wieder brannte. Die gläserne Glühbirne flackerte unregelmäßig an der Zimmerdecke.
Alex wollte aufstehen, doch seine Beine fühlten sich taub an. Er zitterte am ganzen Körper und war völlig unterkühlt. Er ging in die Vierfüßlerstellung und begann über den Boden zu krabbeln. Unzählige Dreckkörner bohrten sich in seine Handinnenflächen. Er bewegte nur das gesunde Bein nach vorn, das verletzte zog er nach. Auf diese Weise schaffte er es bis zur Matratze und fühlte sich, als hätte er gerade mehrere Kilometer hinter sich gelassen. Er streckte seinen Arm nach der Wasserflasche aus und zog sie zu sich. Nur noch eine geringe Menge schwappte über dem Flaschenboden. Alex trank sie in einem Zug leer und schmiss sie anschließend in eine der hinteren Ecken. Sein Körper verlangte nach mehr Flüssigkeit. Seine Kehle war trocken, sein Mund klebte. Alex zog seinen verletzten Fuß ein letztes Mal an sich heran und versuchte anschließend aufzustehen. Er musste pinkeln. Mittlerweile war ihm egal, wohin. Hauptsache, seine Blase würde leer werden und aufhören, wie ein übervoller Luftballon in seinem Unterleib zu drücken.
Er schaffte es nicht, sich gänzlich aufzurichten. Nach vorn gekrümmt taumelte er in eine der Zimmerecken und zog seinen Reißverschluss auf. Dann schob er Boxershorts und Hose ein Stück weit herunter, positionierte sich besser und begann sich zu entspannen. Sein Urin vermischte sich mit dem Dreck und formte eine dunkle Pfütze. Von ihr aus bildeten sich winzige Priele, die sich über den unebenen Boden schlängelten. Alex legte seinen Kopf in den Nacken und stöhnte erleichtert auf. Als er fertig war, fühlte er sich um einiges besser. In einer hastigen Bewegung zog er seine Kleidung wieder hoch und trat von seiner provisorischen Toilette weg. Er taumelte zur Matratze zurück, setzte sich auf das kleine Stück, das bislang weder von Rotz noch klebrigem Brei bedeckt war, und winkelte seine Beine an. Sein Magen knurrte. Er hatte keinen Appetit, nur Hunger.
Seiner Nase ging es etwas besser. Er konnte wieder schmerzfrei durch sie atmen. Dafür tat sein Kopf weh. Bei jeder zu schnellen Bewegung wurde ihm übel und schwindelig.
Vielleicht ‘ne Gehirnerschütterung , dachte er.
Er wusste es nicht. Er erinnerte sich lediglich daran, wie ihm, nachdem sein Kopf brutal gegen die Wand geschlagen war, immer wieder schwarz vor Augen geworden war. Irgendwann hatte er dann das Bewusstsein verloren. Ob er im direkten Anschluss eingeschlafen war oder nicht, konnte er nicht sagen. Sein Zeitgefühl befand sich mittlerweile auf dem Niveau eines Säuglings.
Dann musste er zurück an das Gespräch mit dem Spanier denken. Seine Erinnerungen kehrten in vereinzelten Bruchstücken zurück, die er erst einmal identifizieren, nach Wichtigkeit sortieren und anschließend zusammenfügen musste. Als er dies erfolgreich getan hatte, jagte ein kalter Schauer über seinen Rücken. Plötzlich wurde ihm bewusst, in was für einer ausweglosen Situation er sich befand. Er wurde gezwungen, sich mit einer Drogenmafia anzulegen. Tat er das nicht, würde der Spanier Ben oder Jo etwas antun.
Es bedurfte keiner außergewöhnlichen Intelligenz, um eins und eins zusammenzuzählen und sich das Ergebnis dieser Addition vor Augen zu halten: Er hatte keine Wahl. Er musste tun, was der Spanier von ihm verlangte, um Ben, Jo und sich selbst zu schützen. Was sollte er sonst tun?
Juan hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass mit seinem Boss nicht zu spaßen war. Der Spanier würde Alex weiter quälen. Quälen, quälen, quälen. So lange, bis er sich seinem Plan fügen würde. Und selbst wenn er es halb tot noch immer nicht tun würde, brachte er damit gleichzeitig das Leben jener Menschen in Gefahr, die ihm etwas bedeuteten.
In den letzten Monaten hatte er genug Mist gebaut und genügend Unschuldige mit in seine Probleme hineingezogen: Diegos alte Nachbarin, die sie um ihr Erspartes gebracht hatten; der Student, den Diego zusammengeschlagen hatte; Sam, der Opfer der Drohungen geworden war, und nicht zuletzt Ben, der um ein Haar gestorben wäre.
Alex wollte, dass das endlich aufhörte. Er wollte nicht noch mehr riskieren und schlimmstenfalls Schuld an etwas sein, das er nicht mehr rückgängig machen konnte. Genau deshalb hatte er keine andere Wahl. Er musste den dubiosen Anweisungen Folge leisten – ob er wollte oder nicht.
Als wären seine Gedanken unter der Tür hindurchgekrochen, wären durch den Flur gehetzt und hätten
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