Sommermond
hellgrünen Wand.
Ben fühlte sich seltsam. Sein Zimmer kam ihm auf eine abstruse Art und Weise fremd vor. Es fühlte sich an, als ob er ein Jahr oder länger weg gewesen wäre. Nicht aber, als ob er nur ein paar Wochen verreist gewesen war. Das Flair der Villa fehlte ihm. Er hatte sich zu schnell daran gewöhnt, von edlem Luxus umgeben zu sein. Doch hier zu Hause, in Flensburg, holte ihn der gähnende Alltag ein. Auch innerlich hatte er sich verändert. Es war, als ob er einen Teil von sich in Hamburg zurückgelassen hätte. Den spannenderen Teil. Den Teil, der Abenteuer erlebte und agierte wie ein Filmheld.
Hier in Flensburg war er nicht mehr als der Sohn seiner Eltern, der Freund seiner Freunde und ein Student der Universität. All das, was früher für ihn aufregend gewesen war, klang nun langweilig. Ja. Es hatte seinen Reiz verloren. Sein Aufenthalt in Hamburg, zusammen mit all den Dingen, die er erlebt hatte, erschien ihm nun als ferne Vergangenheit. Fast wie ein grandioser Urlaub, von dem man lediglich ein paar Erinnerungsfotos behielt, die man in der Welt herumzeigen konnte. Die wahre Erinnerung, das wahre Gefühl blieb jedoch zurück. Das nahm man nicht mit zu sich nach Hause. Man ließ es am Strand, im Hotel oder am Meer … wo auch immer, wo es dann darauf wartete, von jemand anderem gepackt zu werden.
Dieser Gedankenzug stellte Ben vor die Frage, ob seine Beziehung zu Alex dieser radikalen Veränderung überhaupt standgehalten hätte. Vielleicht hatte sie bislang nur von den vielen Problemen gelebt, die ihr einen außergewöhnlichen Reiz verliehen hatten. Was, wenn sie dem normalen Alltag überhaupt nicht gewachsen war? Was hatten er und Alex schon für Gemeinsamkeiten?
Ben holte einmal tief Luft und atmete sie bedacht wieder aus. Sein Verstand spann sich ein Hirngespinst zurecht, von dem er nichts wissen wollte. Er liebte Alex und Alex liebte ihn. Das war die Grundlage einer jeden Beziehung, auf die alles aufbaute. Zu Beginn bedurfte es nicht mehr. Alles andere würde sich von ganz allein ergeben.
Mit diesem abschließenden Gedanken griff er noch einmal zu seinem Handy und wählte Alex‘ Nummer. Für einen kurzen Moment stieg Aufregung in ihm auf, doch als wieder ein Freizeichen dem nächsten folgte, sickerte die Nervosität sofort an ihren Ursprungsort zurück und hinterließ ein bitteres Gefühl von Enttäuschung. Statt aufzugeben, öffnete er ein Nachrichtenfenster und verfasste eine SMS:
„Alex, was soll das? Solls das jetzt gewesen sein? Bitte meld dich endlich! Ben“
Ohne noch einmal darüber nachzudenken, schickte er die SMS ab. Dann verließ er das Hauptmenü seines Handys und wartete noch so lange, bis ein paar Sekunden später der Sendebericht bei ihm eintraf.
„So, Alex“, sprach er dann leise mit sich selbst, „jetzt bist du dran!“
Er ließ das Handy aus seiner Hand auf die Matratze rutschen und griff erneut nach der Fernbedienung. Etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Dieses Mal ließ er irgendeinen Film laufen, der aussah, als stammte er aus den 90er Jahren. Er lehnte sich gegen die Rückwand seines Bettes und nahm seinen Kopf nach hinten. In dem Film rannten gerade zwei mutmaßliche Opfer in ein Motel und warfen die Tür hinter sich zu.
„Wir sollten die Polizei rufen!“ , rief einer von ihnen, während er sich mit dem Rücken gegen die Holztür presste, als ob er sie auf diese Weise sicher verschlossen hielt.
„Nein“ , sagte der andere. „Keine Polizei! Was willst du denen denn sagen? Ve r flucht! Wir hängen doch mit in der Scheiße!“
Ben stöhnte genervt auf, bevor er vor Selbstironie leise auflachen musste. Etwas Passenderes hätte wohl kaum im Fernsehen laufen können.
Er schaute sich die beiden Schauspieler noch eine Weile an, wie sie an der irritierten Rezeptionistin vorbeirannten und ihre Waffen zückten. Dann schaltete er wieder um und begann, sich eine Tierdokumentation anzusehen. Parallel griff er nun doch nach dem Essenstablett. Seine Mutter hatte die Pizza in acht handliche Stücke geschnitten. Er nahm sich eines und biss hinein. Der Teig war noch lauwarm, der Thunfisch und die Zwiebeln schon kalt. Aber das störte ihn nicht. Im Gegenteil. Es schmeckte ihm sogar, weil nun doch etwas Hunger in ihm aufgestiegen war.
Im Fernseher hingen langschwänzige Affen an hohen, dichten Bäumen und sprangen von Ast zu Ast. Der monotone Sprecher berichtete erst von ihrer Lebensweise und anschließend von der Aussterbungsrate. Ben schob sich die letzte Ecke des
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