Sommermond
Pizzastücks in den Mund und griff gleich darauf nach dem nächsten. Die Dokumentation machte ihn müde. Seine Augenlider wurden schwer, obwohl er bis vor kurzem noch geschlafen hatte. Nur das Essen hielt ihn noch wach.
Während der Fernsehsprecher vom überlebenswichtigen Sozialverhalten unserer Vorfahren berichtete, aß Ben noch ein drittes Stück Pizza. Als er damit fertig war und seine Hände grob am Bettzeug abwischte, fielen ihm die Augen zu.
Er war sich sicher, dass er ziemlich schnell eingeschlafen wäre, wenn nicht im nächsten Moment die Zimmertür aufgesprungen wäre und ihm gleich darauf eine laute, bekannte Stimme entgegenhallte.
Schlagartig öffnete er seine Augen und starrte zur Tür, in dessen Rahmen seine Mutter stand und ihm einen entschuldigenden Blick zuwarf.
„Der war nicht aufzuhalten“, sagte sie, zuckte mit den Schultern und lächelte.
Im gleichen Moment quetschte sich Max, Bens bester Freund, an ihr vorbei und platzte mit einer gefüllten Plastiktüte in den Händen in sein Zimmer.
„Max!“
Ben richtete sich ein Stück auf und strahlte in Richtung seines Freundes. Der Anfall von Müdigkeit war wie weggeblasen. Max war eine willkommene Abwechslung.
Seine Mutter trat zurück in den Flur und zog die Tür hinter sich zu.
„Mann, Alter!“, begrüßte ihn Max, schritt wie selbstverständlich zum Schreibtisch, nahm sich den Stuhl und stellte ihn mit der Lehne nach vorn neben Bens Bett. Er legte die Plastiktüte ab und verschränkte seine Arme auf der Stuhllehne. „Du siehst echt fertig aus!“
Ben lachte kurz. „Danke für das reizende Kompliment“, erwiderte er dann.
„Nee, Mann! Im Ernst jetzt. Als ich gehört hab‘, was passiert ist. Boah! Ich sag dir, ich hab‘ mir echt Sorgen gemacht.“
„Hat Nick dir alles erzählt?“, fragte Ben.
„Ja“, erwiderte Max. „Echt ‘ne krasse Geschichte.“
Ben konnte sich nicht bremsen. Er ärgerte sich über Nicks Verhalten und konnte diesen Anflug von Wut nicht einfach herunterschlucken.
„Muss der das jetzt überall rumerzählen, oder was?“, fragte er.
„Na, wenn du dich nicht bei mir meldest und nicht auf meine SMS antwortest“, erwiderte Max. „Ich hab‘ ihn gelöchert, um ehrlich zu sein.“
„Das gibt ihm trotzdem nicht das Recht, alles zu erzählen“, gab Ben zurück.
„Mann, Ben!“, versuchte ihn Max zu besänftigen. „Ich als dein Lieblingskommilitone darf das ja wohl erfahren.“
Darauf wusste Ben nichts zu erwidern. Nachdenklich kaute er auf seiner Unterlippe. Im Augenwinkel sah er, wie Max sich vorbeugte und sich ein Stück Pizza vom Teller zog.
„Ich darf doch, oder?“, fragte er, nachdem er schon zweimal abgebissen hatte.
Dieses Bild brachte Ben schließlich zum Lachen. Er verscheuchte die Gedanken an Nick und versuchte sich stattdessen über den unerwarteten Besuch zu freuen. Max saß schmatzend da und leckte sich die Lippen.
„Auch eins?“, fragte er, als er nach einem weiteren Stück Pizza griff.
Ben schüttelte grinsend den Kopf. „Nein, danke. Ich hatte schon.“
Das war typisch Max. Er war, wie er war: Ein sympathischer Chaot, der auf den ersten Eindruck verwirrt wirkte, aber mehr im Kopf hatte, als man glaubte. Mit seinen langen, wuscheligen Haaren sah er aus, als ob er gerade erst aus dem Bett aufgestanden wäre. Sie verdeckten neben seinen Ohren den Großteil seiner Stirn. Seine ozeanblauen Augen im Kontrast zu den dunkeln Haaren und Augenbrauen waren das Geheimrezept, auf das alle Mädels abfuhren. Als Ben ihn zu Beginn seines Studiums kennengelernt hatte, hatte Max diese wertvolle Gegebenheit schamlos ausgenutzt und sich durch das halbe Semester gevögelt. Doch dann war Isabelle gekommen. Eine hübsche Schwarzhaarige mit türkisen Augen, die ihr letztes Semester im Ausland verbracht hatte und es noch einmal in Flensburg wiederholen wollte. Mit Isabelle und Max waren zwei Menschen aufeinandergetroffen, die sich vom Aussehen her perfekt ergänzten. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. So hatte es zumindest Ben empfunden. Doch die beiden hatten recht lange gebraucht, bis sie schließlich zueinander gefunden hatten. Aus heutiger Sicht konnte Ben das gut nachvollziehen. Max war ein draufgängerischer Chaot und Isabelle eine intelligente, gut organisierte Schönheit. Ben hatte damals etwas nachgeholfen, indem er den Gentleman in Max wachgerüttelt hatte.
Das war jetzt ein gutes Jahr her und Max war ihm noch heute dankbar für den verbalen Arschtritt.
„Hm!“, machte Max,
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