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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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seine innere Unruhe überspielen wollen. Doch dieser Versuch ging nach hinten los. Statt sich unauffällig an dem Kerl vorbei zu schleichen, warf er dessen Pappbecher mit der Tasche um. Die braune Brühe verteilte sich sofort auf dem Tisch und tropfte von dort aus zu Boden. Der Kerl hatte seinen Collegeblock reflexartig hochgerissen. Dadurch sprenkelten nun dunkle Spritzer seine Hose. Ben blieb verunsichert stehen. Andere Studenten schielten kurz zu ihnen herüber, widmeten sich dann aber wieder ihren eigenen Gesprächen. Ben schluckte einmal kräftig, bevor er seine Hand nach dem Becher ausstreckte, ihn wieder hinstellte und ein paar Servietten auf die Pfütze presste. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, sich zu entschuldigen. Nicht, nachdem ihm der Typ die ganze Zeit mit seinen Blicken belästigt hatte. Doch als er kurz über den Boden wischte und anschließend zu ihm hochschaute, klappte ihm fast die Kinnlade herunter. Der Kerl hatte seine Brille abgenommen und wischte mit einer Serviette über ihre Gläser. So, aus der Nähe und ohne Brille, sah er noch um ein Vielfaches besser aus. Ben starrte ihn an. Er vergaß sogar, sich wieder aufzurichten. Der Kerl hauchte gegen das Glas, verrieb den kondensierten Atem und wiederholte diese Prozedur noch einige Male. Erst nach weiteren Sekunden schaute er zu Ben herunter.
    „Hab‘ ich irgendwas im Gesicht?“, fragte er trocken.
    Anschließend begutachtete er seine Brille noch einmal, setzte sie dann wieder auf und blickte Ben erwartungsvoll an. Der öffnete seinen Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn dann aber wieder. Er knüllte die dreckigen Servietten zu einem Knäul zusammen, richtete sich wieder auf und stopfte sie in den leeren Pappbecher. Er machte unklare Gesten in Richtung der fremden Hose und räusperte sich verlegen.
    „Das…“ Erneut räusperte er sich. „Das tut mir leid.“
    Der Kerl sah zunächst ernst zu ihm auf, doch dann zuckte er gelassen mit den Schultern und zog seine Mundwinkel dabei nach unten.
    „Gar kein Problem“, sagte er. „Hat was Künstlerisches.“
    Ben musterte ihn kritisch. Sollte der Typ Johnny Depp nicht bewusst imitieren, blieb eigentlich nur die Annahme, dass er mit ihm verwandt sein musste.
    „Peer“, sagte der Kerl und streckte ihm seine Hand entgegen. „Student der Kunst und visuellen Medien.“
    Ben beäugte ihn noch immer skeptisch. Die Art und Weise, wie er sich vorstellte, erinnerte ihn an geladene Gäste einer Benefizgala, die sich untereinander wie Könige darstellten.
    Er zögerte noch einen Moment, bevor er den Handschlag annahm. Dabei warf er einen flüchtigen Blick auf dessen Collegeblock. Erst glaubte er, sich versehen zu haben. Doch als Peer seine Hand aus der seinen rutschen ließ und Ben daraufhin einen Schritt näher trat, konnte er sich seiner Annahme vergewissern und sie schließlich bestätigen. Auf dem Stück Papier zogen sich zarte Bleistiftlinien entlang. Manche verwischt, manche härter. Und zusammen ergaben sie ein Bild, das Bens Kinnlade dieses Mal tatsächlich herunterklappen ließ.
    „Bin ich das?“, fragte er halb abwesend.
    Peer schielte über seine modernen Brillengläser, zuckte dabei merkwürdig mit dem Mund und drehte den Collegeblock schließlich zu ihm herum.
    „Wow…“, rutschte es aus Ben.
    Wie von einer fremden Macht gelenkt, griff er nach dem Block und taumelte rückwärts auf den freien Platz gegenüber Peer. Gedankenvoll betrachtete er das Bild. Der Kunststudent hatte ihn gezeichnet, wie er nachdenklich aus dem Fenster schaute und die Finger dabei wärmend um die Kaffetasse schlang. Sein Gesichtsausdruck war passend getroffen. Es hätte fast ein Foto sein können. Seine auf dem Bild dargestellte Mimik spiegelte nur zu gut wider, wie er sich fühlte: einsam.
    Einsam inmitten der bunt gemischten Menschenmenge des Cafés. Er war anwesend und doch abwesend. Kurz gesagt: Die Zeichnung war perfekt.
    „Das ist…“ Er stockte, deutete auf das Bild und nickte hochachtungsvoll. „Das ist wirklich gut.“
    „Liegt im Auge des Betrachters“, erwiderte Peer.
    Ben sah irritiert zu ihm auf. „Findest du’s etwa schlecht?“
    Peer zuckte mit den Schultern.
    „Also ich“, fuhr Ben fort, „könnte sowas nie. Ich zeichne nur Skizzen von Gebäuden. Aber das hier…“
    Peer sah zu ihm herüber und spielte mit seiner Mimik. Er blinzelte und sah dadurch recht verwirrt aus.
    „Kannst es gern behalten“, sagte er dann.
    „Echt?“
    Erneut zuckte Peer mit den Schultern. „Oder ich

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