Sommermond
hänge es über mein Bett, stehe die nächsten Tage nicht mehr aus selbigem auf und versuche herauszufinden, was den Kerl auf dem Bild so bedrückt.“
Ben warf ihm einen irritierten Blick zu. Peer war auf eine interessante Art und Weise sonderbar. Einfach anders. Und Menschen, die sich von der breiten Masse abhoben, hatten ihn schon immer fasziniert.
„Dann nehm ich’s lieber“, entgegnete er schließlich. „An allem anderen will ich nämlich keine Schuld tragen müssen.“
„In Ordnung“, sagte Peer und schob seine Brille auf dem Nasenrücken zurecht. „Dann gib’s mal kurz her!“
Ben sah ihn eine Weile an, bevor er gehorchte. Er drehte den Collegeblock auf seinem Schoß und reichte ihm den Schwarzhaarigen. Der nahm ihn an und zog den Bleistift von seinem Ohr. Als er sich nach vorn beugte, fielen ihm lange Haarsträhnen ins Gesicht. Für einen kurzen Moment erinnerte ihn dieses Bild an Alex. Dabei musste er auch an Jos Worte denken. Noch immer gelang es ihm nicht, sich den Blonden mit kurzen Haaren vorzustellen.
Vorsichtig löste Peer das Papier aus dem Block, drehte es um und kritzelte anschließend etwas auf die Rückseite. Als er damit fertig war, gab er es Ben zurück. Dieser warf einen neugierigen Blick auf die Rückseite der Zeichnung. Dort blitzte ihm Peers Telefonnummer mit eleganten Rundungen entgegen. Ben verstand sofort. Deshalb stand er auf und trat etwas vom Tisch weg. Dabei machte er eine entschuldigende Geste.
„Hör zu“, flüsterte er. „Falls du auf irgendwas hinauswillst … Ich bin vergeben.“
Peer zog die Schultern lässig hoch.
„Okay“, meinte er und nickte gelassen.
„ Okay? “, hakte Ben nach.
„Tja…“, meinte Peer. Er pausierte, richtete sich ein Stück auf und deutete mit dem Zeigefinger auf Ben. „Es mag ja sein, dass du vergeben bist“, fuhr er dann fort, dabei senkte er seinen Zeigefinger von Ben auf das Blatt Papier, „aber der hübsche Kerl auf dem Bild ist es nicht.“
Ben war verwirrt. Er wollte etwas erwidern, wusste aber nicht was. Mit skeptischem Gesichtsausdruck blickte er zurück. Nebenbei rollte er das Papier in seinen Händen zusammen.
„Ich muss jetzt los“, sagte er.
Daraufhin führte Peer seine flache Hand gegen die Schläfe und verabschiedete sich so unkoordiniert wie ein betrunkener Soldat. Ben musterte ihn einen letzten Moment, bevor er sich schließlich abwandte und Richtung Ausgang schritt. Er spürte Peers Blick in seinem Rücken, drehte sich aber kein weiteres Mal um. Stattdessen eilte er so schnell durch die kahlen Gänge des Unigebäudes, dass er recht bald zurück im Eingangsbereich ankam. Dort ging er zum Fahrstuhl und drückte auf den quadratischen Knopf mit dem Pfeil, der daraufhin aufleuchtete. Dann wartete er und trat dabei ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Als der Fahrstuhl kam und sich die massiven Türen aufschoben, trat er in dessen Inneres und lehnte sich gegen den kühlen Stahl. Als sich die Türen schlossen, atmete er tief durch. Dann warf er einen Blick auf das zusammengerollte Papier in seinen Händen. Dabei dachte er an Peer. Dessen Aussehen hatte sich wie eine Gravur in sein Hirn gebrannt.
Die Erinnerung an Peers Augen, Peers Blick und Peers Geruch jagten einen wohligen Schauer durch seinen Körper, der ihn allerdings nicht in Euphorie ausbrechen ließ, sondern ein schlechtes Gewissen in ihm erweckte. Er fühlte sich miserabel. Zwar hatte er nichts getan, nicht einmal geflirtet, aber trotzdem. Seine seltsamen Emotionen zogen Gewissensbisse nach sich, mit denen er in seinem Zustand der ohnehin vorhandenen Überforderung nur schwer zurecht kam. Er war nicht wie Nick. Er war treu. Weder wollte er mit anderen flirten, noch sich durch fremde Betten vögeln. Er liebte Alex. Da war er sich sicher. Doch gleichzeitig wusste er, dass allein die Tatsache, sich überflüssige Gedanken über all die vorangegangenen Dinge zu machen, ihn für schuldig erklärte. Offenbar versuchte er sein Gewissen zu beruhigen und klapperte seinen Verstand deshalb nach einer unnötigen Rechenschaft ab.
Der Fahrstuhl hielt. Die Türen schoben sich auf und Ben stieg aus. Er legte seine Jacke zusammen und hängte sie etwas ordentlicher über seinen Arm. Dann folgte er den Raumbezeichnungen bis zu jener, die in der Rundmail zum Übungsseminar genannt worden war. Er wollte den Unterricht nicht stören und setzte sich deshalb auf eine der Fensterbänke. Am nächsten Block würde er teilnehmen. Er brauchte dringend
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