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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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schwindelig. Irritiert wandte er den Blick ab und fasste sich an den Kopf. Er taumelte rückwärts zu seinem Bett und setzte sich. Sein Fuß schmerzte noch immer. Wie sollte er auch verheilen, wenn er ihn täglich durch langes Stehen am Bahnhof belastete? An seinen Schläfen pochte es. Es pochte, als ob jemand gegen seinen Schutzwall klopfte, um ihn herauszulocken. Dagegen wehrte er sich mit aller Kraft. Dennoch begann sein Verstand plötzlich damit, einzelne Erinnerungsfetzen aus ihm herauszuwringen.
    Alex kniff die Augen zusammen und drückte seine Finger fest gegen seine Schläfen. Er wollte sich nicht erinnern. An nichts. Nicht jetzt.
    Es geschah trotzdem. Mit einem Mal sah er sich in dem dunklen Verlies, in das er am Abend des Streits gebracht worden war. Er sah sich in vollgepisster Hose zwischen Dreck und Blut. Er sah Rafael, wie er seinen Gürtel löste und den Reißverschluss seiner Hose herunterzog. Langsam. Sprosse für Sprosse.
    „Dann zeig‘ mal, wie gut du Schwänze lutschen kannst“, schallte es heiser in seinem Kopf.
    Er sah die schwarzen Schamhaare, den dünnen Schwanz. Er sah Juan, wie er in der hinteren Ecke stand und nicht die leiseste Anstalt machte, ihm zu helfen.
    Alex wollte die Gedanken ausbremsen und krallte seine Finger noch fester in seinen Kopf. Doch der Film lief einfach weiter. So durchlebte er geistig ein weiteres Mal, wie ihm die Haare abgeschnitten wurden. Er roch Rafaels Schweiß, spürte die Knarre an seinem Kopf; er fühlte seinen schmerzenden Fuß, die Kälte und seine trockene Kehle.
    Dann klingelte sein Handy. Alex riss die Augen auf und - wie durch einen Schwenk mit einem Zauberstab - sortierten sich seine wirren Gedankenbilder zu einem Stapel und huschten in die eigentlich längst abgeschlossene Schublade zurück.
    Das Pochen in seinem Kopf klang langsam ab. Trotzdem brauchte er noch einen ganzen Moment, bis er sich wieder vollständig geordnet hatte. Sein Handy klingelte erneut. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und zog es aus seiner Hosentasche. Ein Blick auf das Display, auf dem ihm eine unbekannte Nummer entgegenstrahlte, genügte, um zu wissen, von wem der Anruf kam. So gut er konnte, versuchte er sich zu sammeln, bevor er abnahm und das Handy gegen sein Ohr drückte. Er brauchte sich nicht melden. Das wusste er.
    „Und?“, fragte der Spanier. „Wie läuft’s?“
    „Gut“, erwiderte Alex kühl. „Ich bin dran.“
    „Und dein Schwuchtelfreund?“
    „Das ist vorbei“, sagte Alex. Dabei spürte er ein Brennen in seinem Magen, das ihm unweigerlich verdeutlichte, dass er damit die Wahrheit sagte.
    „Gut so“, sagte der Spanier. „Ist nur zu deinem Besten, wie du weißt.“
    Alex schwieg. Er hasste die Kontrollanrufe. Er brauchte sie nicht, um zu wissen, unter welchen Bedingungen er in den Plan eingewilligt hatte. Wie könnte er das vergessen?
    „Und die Bullen?“, fragte der Spanier.
    „Halten still“, erwiderte Alex trocken.
    „Das will ich hoffen“, entgegnete der Spanier. „Halt dich einfach brav an unsere Abmachung und es wird nichts passieren.“
    Wieder schwieg Alex. Einige Sekunden später vernahm er ein leises Klicken. Auch er legte auf und warf das Handy neben sich auf die Bettdecke. Dabei kehrte das Pochen sofort in seine Schläfen zurück – als hätte es sich nur für die Zeit des Telefonats auf Standby gestellt.
    Ihm gegenüber prangte der zerbrochene Spiegel. Alex musterte sich ein letztes Mal, bevor er nicht länger zögerte, aufstand, zum Schrank schritt und ihn öffnete. Er nahm sich ein weißes Hemd aus einem der Fächer und tauschte es gegen das schwarze T-Shirt, das er aktuell trug. Dann griff er nach dem grauen Kapuzenpullover, streifte ihn sich über und stopfte sein Handy in seine Hosentasche. Entschlossen ging er zur Tür und trat in den Flur.
    Er wollte ins Christiansen’s, um sich sinnlos zu betrinken. Das hatte er schon lange nicht mehr getan und empfand den heutigen Abend als angemessenen Anlass.
    Er schritt zur Treppe und hielt sich am kühlen Geländer fest. Während er die Marmorstufen hinunterhumpelte und seine rechte Hand dabei in die Tasche des Pullovers steckte, spürte er raues Papier. Direkt darunter das Geld, das ihm der Spanier als angebliche Einnahmen zur Verfügung stellte. Es waren über 1500 Euro, von denen er nur 500 selbst eingenommen hatte. Wenn überhaupt. Doch für die Drogentypen sollte es aussehen, als ob er überdurchschnittlich begabt im Dealen war. Das war der Plan. Damit sollte er ihr

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