Sommermond
alles keinen Sinn. Die Entfernung, dein Studium. Das funktioniert nicht. Außerdem zoffen wir uns ständig.“
Ben war sprachlos.
„Und das sagst du mir jetzt? Einfach so … bei einem zufälligen Telefonat?“ Er musste erst den Kloß in seinem Hals herunterschlucken, bevor er weitersprechen konnte. „Darüber hättest du dir doch vorher Gedanken machen können!“
„Ja, genau!“, gab Alex aufgebracht zurück. „Hätt‘ ich das bloß getan! Ich hätt‘ mir über vieles vorher Gedanken machen können … sollen. Dann wär’s gar nicht erst so weit gekommen!“
Die Worte trafen Ben wie ein Messerstich ins Herz. Jetzt war er nicht mehr wütend oder verzweifelt, sondern traurig. Und diese Trauer löste ein Gefühl von brennender Leere in ihm aus.
„Wills du damit sagen, dass du’s bereust?“, fragte er und sprach dabei überraschend ruhig.
„Das hab ich nicht –“
„Du verfluchtes Arschloch…“, unterbrach ihn Ben. Seine Stimme klang schwach und verletzt. Zwanghaft versuchte er die Leere in seinem Inneren durch etwas anderes zu ersetzen. Dabei stand ihm nur Wut zur Auswahl.
„Ben, ich …“, stammelte Alex.
Dass auch er gekränkt klang, ignorierte Ben. Stattdessen steigerte er sich nun in seine hervorgekramte Wut hinein.
„Weißt du was?“, zischte er in die Leitung. „Ich scheiß‘ drauf!“ Er stockte kurz. „Ich scheiß` auf dich … scheiß` auf alles!“ Wieder musste er stark schlucken – immer darauf bedacht, seine Wut nicht in Verzweiflung umschlagen zu lassen. „Ich hab‘ sowieso jemand Neues kennengelernt“, fügte er dann hinzu. Er wusste, wie kindisch das war. Doch seine Vernunft und Reife waren wie abgeschaltet.
„Ach, wirklich?“, gab Alex zurück.
Jetzt klang er wirklich gekränkt. Ben redete sich jedoch ein, sich das nur einzubilden.
„Ja, wirklich“, bestätigte er stattdessen.
„Na, das ging ja schnell!“, erwiderte Alex. „Du scheinst es ja echt nötig zu haben.“
„Ich hab‘ ja nicht gesagt, dass ich mit ihm gefickt hab‘“, wehrte sich Ben.
Alex lachte schal auf. „Und? Hast du?“
Das war zu viel für Ben. Sein Körper setzte Adrenalin frei, das sich ungehindert durch seine Nervenbahnen schlängelte und ihn zornig gegen das Holz seines Bettes schlagen ließ.
„Soll ich dir was sagen?“, schnaubte er wütend. „ Ich … Ich bereu‘ den ganzen Scheiß!“ Er musste einmal tief Luft holen. „Die anderen haben Recht! Alle haben Recht!“ Erneut stockte er und versuchte sich noch rechtzeitig zu beruhigen, schaffte es aber nicht. „Ohne dich wär‘ ich nie in so ‘ne Scheiße geraten! Nur wegen dir wäre ich fast draufgegangen!“
Kaum dass er ausgesprochen hatte, war das Adrenalin verbraucht. Das Einzige, was blieb, war der kräftige Herzschlag gegen seine schmerzende Brust. Seine Worte verletzten ihn selbst. Er konnte kaum glauben, sie tatsächlich ausgesprochen zu haben.
„Wenn du das so siehst“, erwiderte Alex nach kurzem Schweigen. Er sprach ruhig und gefasst. Fast schon zu gefasst. „Dann fick‘ deinen Neuen und hör‘ endlich auf, mir ständig hinterher zu telefonieren!“
Zwischen den letzten Worten war seine Gekränktheit deutlich herauszuhören. Dennoch verstand Ben ihn nicht. Alex war es doch, der das Ganze beenden wollte und sich nicht mehr bei ihm gemeldet hatte. Warum drehte er den Spieß nun verbal derart um?
Doch gerade als er etwas erwidern wollte, sich irgendwie entschuldigen wollte, hörte er, wie Alex auflegte.
„Scheiße …“, murmelte Ben und ließ das Handy von seinem Ohr zum Mund gleiten. Er presste es fest gegen seine Lippen. Seine Finger spannten sich an. Mit jeder Sekunde umklammerten sie es fester. Und dann durchfuhr ihn ein letzter Adrenalinschwall.
„SCHEISSE!“, brüllte er und warf das Handy in die hintere Zimmerecke. Es rutschte in hohem Tempo über den Tisch seiner Chillout-Lounge, knallte dumpf gegen seine Gitarre und fiel scheppernd zu Boden.
Kaum einen Moment später kniff Ben seine Augen zusammen und begann zu heulen. Bei jedem Schluchzen spürte er die Schmerzen seiner Rippenfraktur, die ihn in seinem ohnehin überforderten Zustand an die vergangenen Wochen erinnerten und ihn darin unterstützten, sich selbst zu bemitleiden. Er vergaß sein Studium, vergaß den Kunststudenten und dachte nur noch an Alex und daran, wie sehr er um dessen Liebe gekämpft hatte. Er liebte ihn. So sehr, dass es wehtat. Und gleichzeitig hasste er ihn. Er hasste ihn, weil er ihn verletzlich machte.
Ben
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