Sommermond
dieser Sherlock Holmes-Verschnitt genau jetzt auftauchen?
„Falls mein Vater Sie gerufen hat –“, begann Alex, wurde aber sofort von Kommissar Wagner unterbrochen.
„Ihren Vater trifft keine Schuld“, sagte er. „Ich bin hier, weil wir Sie seit mehr als einer Woche auf dem Präsidium erwarten. Es geht noch immer um die neuen Drohungen.“
Alex starrte ihn an.
„Kommen Sie doch erst mal rein!“, bat Jo und drückte Alex unbeholfen zur Seite.
Doch Kommissar Wagner rührte sich nicht vom Fleck.
„Ich bin nur auf dem Sprung. Ich wollte Ihren Sohn nur noch einmal dringlichst daran erinnern, unsere Ermittlungen ernst zu nehmen.“ Dann wandte er sich wieder an Alex. „Wir wollen Ihnen nur helfen. Kapieren Sie das doch endlich!“
„Ich brauch‘ aber keine Hilfe“, gab Alex zurück. „Die Kerle lassen mich schon lange in Ruhe.“ Er stockte kurz. „Wenn Sie mir nicht glauben, setzen Sie doch jemanden auf mich an! Der wird Ihnen genau das beweisen.“
Kommissar Wagner nickte kaum merklich. Innerlich schüttelte er jedoch den Kopf. Das konnte Alex in seinem Blick sehen.
„Warum die neue Frisur?“, fragte Wagner dann.
Alex‘ Finger, die das Koks und das Geld umklammerten, begannen zu krampfen. Mit einer derartigen Frage hatte er gerechnet. Gleichzeitig hoffte er, dass Jo sich nicht einmischen und von Alex‘ blutiger Nase und Wunde am Kopf erzählen würde. Und zu seiner Verwunderung tat er das nicht. Alex war überrascht.
„Gehen Frauen nicht immer zum Friseur, wenn sie sich von ihren Typen trennen?“, fragte Alex. Kommissar Wagner sah irritiert aus.
„Und da ich schwul bin, bin ich fast ‘ne Frau. Also …“, fuhr Alex fort.
„Verstehe“, entgegnete Wagner und machte eine abtuende Geste mit seiner Hand. Seine Stirn schlug nachdenkliche Falten.
Einen ganzen Moment trat Stille ein. Unterdrückte Spannung lag in der Luft. Alex befürchtete noch immer, dass Jo sich ungefragt einmischen könnte.
„Dürft‘ ich dann jetzt?“, brach er deshalb das Schweigen und deutete nach draußen.
„Wo soll’s denn hingehen?“, fragte Kommissar Wagner.
„Muss ich das beantworten?“, gab Alex trocken zurück.
Wagner schüttelte den Kopf. Diese Geste nahm Alex schließlich als Anlass, über die Türschwelle zu treten und sich am Kommissar vorbeizudrängeln. Ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen, eilte er zu seinem Wagen und konzentrierte sich darauf, nicht zu humpeln. Bei jedem festen Auftritt jagte ein stechender Schmerz durch seinen Knöchel. Gekonnt ignorierte er ihn. Hinter sich hörte er noch, wie Wagner seinem Vater aufgesetztes Beileid bezüglich des karriereruinierenden Zeitungsartikels zusprach und sich anschließend verabschiedete. Das veranlasste Alex nur dazu, noch schneller zu gehen. Per Funk öffnete er seinen Wagen und riss die Fahrertür auf. Dabei vergaß er völlig, dass er sich eigentlich ein Taxi hatte rufen wollen. Stattdessen steckte er nun seinen Schlüssel in die Zündung und startete den Motor. Als Kommissar Wagner kurze Zeit später um die Ecke trat und zu seinem Dienstfahrzeug schritt, kam Alex sich vor wie in einer Hetzjagd. Hektisch schaltete er in den Rückwärtsgang, während Wagner in seinen Wagen stieg und ebenfalls den Motor startete. Alex warf ihm einen festen Blick durch das Seitenfenster zu, und Wagner blickte ebenso fest zurück. Alex hatte einen ganzen Augenblick lang das Gefühl, dass Kommissar Wagner die ganze Wahrheit kannte. Sein Blick löcherte ihn förmlich. Dem konnte er schließlich nicht mehr länger standhalten und wandte sich ab. Er blickte in den Rückspiegel und begann rückwärts von der Einfahrt zu rollen, um sich anschließend in den Verkehr der Elbchaussee zu schleusen. Dort angelangt beschleunigte er und versuchte auf diese Weise so schnell wie möglich vor Wagner zu entkommen. Doch schon nach wenigen Metern genügte ein weiterer Blick in den Rückspiegel, um ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen: Er befand sich in keiner Hetzjagd. Wagner verfolgte ihn auch nicht. Im Gegenteil. Der Kommissar bog von der Einfahrt der Villa in die entgegengesetzte Richtung.
Alex atmete erleichtert auf. Etwas verspätet griff er nach seinem Gurt und schnallte sich an. Dabei störten ihn die Beulen in seinem Pullover. Er warf einen kurzen Blick von links nach rechts, fischte den Kram anschließend hervor und ließ ihn unter rasantem Puls im Handschuhfach verschwinden. Dann atmete er einmal tief durch. Gleichzeitig kehrte das schmerzvolle Pochen in
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