Sommermond
ihm kein Gefühl von Hoffnung, sondern lediglich eines von Aussichtslosigkeit.
17
Ben saß in der Campus Suite und blickte aus dem Fenster. Um den Parkplatz auf der gegenüberliegenden Seite wurde es von Tag zu Tag grüner. Durch das wild wuchernde Gras lugten Löwenzahnpflanzen und auch die Bäume waren zu neuem Leben erwacht. Zwischen den frischen Farben blinzelte Sonnenlicht, reflektierte sich auf den Autodächern und hüllte das Bild in Glanz und Wärme.
Es war Anfang April. Seit einer Woche hatte das neue Semester begonnen und damit die Vorlesungen und Seminare, die ernst zu nehmen waren. Jetzt gab es keine Übungskurse mehr, die Spielraum für Flexibilität ließen. Jetzt gab es keine Zeit mehr, um über Vergangenes nachzudenken und sich hinter Erinnerungen zu verstecken. Der Alltag war zurückgekehrt und machte Ben unweigerlich klar, dass sich die Welt weiterdrehte und seine Zukunft begonnen hatte.
Vor ihm auf dem Tisch stand eine Tasse Tee, an dessen Boden Zucker schwamm, der sich nicht aufgelöst hatte. Daneben ein Teller mit einem halben Croissant.
Ben war müde. Die Woche war anstrengend gewesen. Jeden Tag war er früh aufgestanden, um wieder mit dem Laufen anzufangen. Er joggte nur langsam und nur die Hälfte seiner eigentlichen Strecke, denn mehr hatte ihm der Arzt nicht erlaubt. Aber es tat gut, sich wieder zu bewegen. Der Sport war einer der bedeutendsten Auslöser, die ihn aus seiner Lethargie befreit hatten.
Tagsüber hatte er seine Kurse besucht, um sich am späteren Nachmittag noch einmal genauer mit dem Stoff auseinander zu setzen. Auch mit Max und Isa hatte er sich oft getroffen. Sie hatten ihn abgelenkt und auf andere Gedanken gebracht. Peer war er kein weiteres Mal begegnet und auch Alex ließ nichts von sich hören. Doch das kümmerte ihn nicht.
Max hatte gesagt: „ Alter, du bist doch keine sechzehn mehr! Mann, hör endlich auf, dich in Selbstmitleid zu suhlen! Zieh einfach los und such dir ‘nen anderen!“
Und damit hatte er Recht. Ben hatte eingesehen, dass es kindisch war, einer kurzen Affäre derart nachzutrauern und dabei sogar außer Acht zu lassen, dass ihm diese Affäre fast das Leben gekostet hätte. Alex hatte ihn vom ersten Moment ihrer Begegnung an wie den letzten Dreck behandelt, ihn gedemütigt, beschimpft und ausgenutzt. Er war es nicht wert, sich noch weiter Gedanken zu machen. Es genügte, dass sie noch über die polizeilichen Ermittlungen miteinander im Zusammenhang standen. Vermutlich würden sie sich früher oder später noch einmal begegnen. Was dann passieren würde, wusste Ben nicht. Er wusste nur, dass er all die Probleme in Hamburg gelassen hatte und stellte dabei fest, dass sich das gar nicht so schlecht anfühlte. Er war wieder frei. Sein Kopf war wieder frei. Natürlich belastete ihn die abrupte Trennung. Aber dieses letzte Überbleibsel psychischer Sorgen schob er auf die Tatsache, Alex nicht mehr persönlich begegnet zu sein. Ihre Beziehung war bei einem zufälligen Telefon auseinandergegangen, und das machte die Sache nicht unbedingt leicht. Trotzdem schaute er jetzt nach vorn und konzentrierte sich auf das, was ihm schon immer etwas bedeutet hatte: sein Studium.
Professor Baumann hatte ihm Unterlagen von in Frage kommenden Ansprechpartnern bezüglich eines Auslandssemesters gegeben. Die hatte er innerhalben eines Abends durchgeschaut und sich schon am nächsten Tag daran gemacht, sich bei einer Stiftung zu bewerben. Dabei handelte es sich um ein deutsch-amerikanisches Fulbright-Programm, dessen Kommission Teilzeitstipendien an deutsche Bewerber für ein neunmonatiges, vertiefendes Studium an einer Hochschule in den USA vergab. Wenn er Glück hatte und seine kreative Bewerbung gut ankam, würde er in ein paar Monaten im Flieger sitzen und den Atlantik überqueren – genau so, wie er es sich schon immer gewünscht hatte. Dieser Traum, dessen Chancen gut standen, war es letztendlich gewesen, der neuen Ehrgeiz und Ansporn in ihm geweckt hatte. Denn, sollte dieser Traum tatsächlich in Erfüllung gehen, würden ihm mit dem Auslandsstudium größere Türen zur Zukunft geöffnet werden, die es ihm leicht ermöglichten, am Ende seines Studiums als angesehener Architekt zu arbeiten.
Er griff nach seinem Tee und nahm ein paar Schlucke. Dabei formten sich seine Lippen zu einem Lächeln. Es war ein ehrliches Lächeln aus seinem tiefsten Inneren. So gut hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt, und es war angenehm, diesen Neustart zum Frühlingsbeginn zu
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