Sommermond
erleben. Da fühlte es sich an, als ob man sich mit der Natur verbunden hätte. Man vergaß den harten Winter und steckte all seine Kraft in die Gegenwart, um in ein paar Monaten entspannt durch den Sommer gehen zu können.
„Sorry!“, riss ihn Max aus den Gedanken. Er japste nach Luft, schmiss seine Tasche auf den Stuhl und setzte sich. „Isa und ich haben die Zeit voll verpennt.“
Ben zog seinen Teller etwas näher an sich heran, um Platz für den von Max zu machen und lächelte. Er wusste, was Max‘ Aussage bedeutete. Er kannte diese spezielle Ausrede zu gut. Max benutzte immer das Synonym „Zeit verpennt“ , wenn er und Isabelle bis früh morgens miteinander gevögelt hatten.
„Und?“, fragte Max weiter, während er sich aus seiner Jacke befreite. „Wie geht’s dir?“
Bis vor zwei Wochen war seine erste Frage an Ben immer die gewesen, ob sich Alex mittlerweile gemeldet hätte. Doch diese Frage stellte er nun nicht mehr, was gut tat, weil es Ben so manches Mal den letzten Nerv geraubt hatte, wenn er immer wieder durch Kommentare seiner Freunde dazu gezwungen worden war, sich an den Blonden zu erinnern.
„Ganz gut. Danke. Und dir?“, antwortete er.
„Bestens“, erwiderte Max. „Hab‘ nur völlig verpeilt, den Text zu lesen.“
Ben musste innerlich schmunzeln. Max machte seine Hausaufgaben fast nie, und trotzdem verhielt er sich nach vier Semestern noch immer so, als handelte es sich bei seiner chronischen Vergesslichkeit um eine Ausnahme.
„Ich erzähl‘ dir nachher auf dem Weg, worum’s geht“, erwiderte Ben.
„Echt?“, fragte Max und tat, als wäre er überrascht.
„Wie immer“, meinte Ben und lachte.
Da lachte auch Max, griff nach seiner ersten Baguettehälfte und biss so herzhaft hinein, dass die weiße Soße am Rand herausquetschte und auf seinen Schoß kleckerte.
„Mist …“, schmatzte Max, leckte sich die Lippen und wischte sich die Mayo von der Hose.
„Ich hab‘ mich für das Stipendium beworben“, erzählte Ben.
„Echt?“, schmatzte Max. „Nicht schlecht …“
„Glaubst du echt, dass ich eine reelle Chance hab?“, fragte Ben. „Ich mein‘ … Da bewerben sich doch hunderte von Studenten. Und da sind bestimmt einige bei, die besser sind als ich.“ Er stockte kurz. „Vermutlich viel besser …“
Max, der sich gerade die letzte Ecke seines halben Baguettes in den Mund gestopft hatte, würgte eben dieses hinunter und starrte Ben fassungslos an.
„Machst du Witze?“, fragte er. „ Du bist der Beste!“ Er nippte kurz an seinem Kaffee und wischte sich mit der flachen Hand über die Lippen. „Du hast doch gehört, was Professor Baumann gesagt hat. Du bringst die besten Voraussetzungen mit.“ Und dann begann er laut aufzuzählen und dabei jeden Punkt an einem seiner Finger festzumachen: „Ein Einser-Abi, diverse Praktika … zuletzt bei Johannes Tannenberger, was echt viel wert ist … Einser-Hausarbeiten, Einser-Prüfungen, Einser-Notenschnitt.“ Er pausierte und nippte erneut am Kaffee. „Du nimmst den ganzen Stoff auf, als ob es Kinderliteratur wäre. Du hast Talent, Mann! Du hast es einfach drauf! Wenn die dich nicht nehmen, sind die bekloppt.“
Das brachte Ben erneut zum Lachen. „Hört sich an, als würdest du auf mich stehen.“
„Boah …“, machte Max mit einer würgenden Geste. Er verstellte seine Stimme und blickte sich hilfesuchend um. „Wann hört das endlich auf?“
Und dann lachten beide. Anschließend trank Ben seinen Tee aus und warf einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr.
„Haben noch ‘ne halbe Stunde“, sagte er dazu.
Max nickte. „Was machen eigentlich die Schmerzen?“, fragte er dann.
„Sind fast weg“, erwiderte Ben. „Hab‘ schon wieder mit dem Laufen angefangen.“
„Ach?“ Max musterte ihn kritisch. „Das erklärt, warum du so gut drauf bist. Ich weiß, du hasst es, nur rumzuliegen.“
„Das stimmt“, entgegnete Ben.
Dann griff er nach seinem Croissant und aß es weiter. Max tat dasselbe mit seiner zweiten Baguettehälfte.
„Heute Abend schon was vor?“, schmatzte er dazwischen.
Ben sah fragend zu ihm auf. Es war Freitag, und an jedem Freitag taten sich sämtliche Studenten zusammen, zogen los und feierten bis spät in die Nacht. Ben war bislang nur selten mitgekommen. Partys waren noch nie sein Ding gewesen. Trotz dieser Tatsache versuchte Max es jedes Wochenende aufs Neue, ihm die Bücher unter der Nase wegzureißen und ihn aus seinen vier Wänden zu scheuchen.
Er schluckte den
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