Sommermond
entgegnete Lars. „Das mit dem Koks behalt‘ ich für mich.“ Er pausierte und trat ein paar Schritte vorwärts, bis er mit dem Rücken zu Alex stand. „Und als Gegenleistung behältst du alles andere für dich.“
Alex blickte skeptisch in seine Richtung.
„Verstehe …“, flüsterte er.
„Nein, du verstehst nicht!“, entgegnete Lars und drehte sich wieder zu ihm. Mit einem Mal sah er weder sexy noch jung aus, sondern streng und alt. „Auf Männer zu stehen, ist eine Sache … aber in meinem Alter auf junge Typen wie dich zu stehen, eine ganz andere.“
„Ich bin doch keine fünfzehn!“, gab Alex entgeistert zurück.
„Trotzdem könnt‘ ich dein Vater sein“, entgegnete Lars.
„Tz …“, machte Alex und lachte dumpf auf. „Dann müsstest du aber verdammt früh Vater geworden sein.“
„Um die 20, schätze ich“, erwiderte Lars. „Also durchaus möglich. Außerdem …“ Er stockte kurz. „Außerdem würde Jo das mit Sicherheit nicht gutheißen.“
Alex starrte ihn an. Schon als er das genannte Alter zu dem seinen addiert hatte, war ihm schlecht geworden. Doch als er nun darüber nachdachte, dass Lars womöglich ein Kollege oder Bekannter seines Vaters war, der diesen sogar beim gewünschten Kürzel nannte, wurde ihm noch schlechter.
Lars schien ihm den inneren Schock anzusehen und begann in langsamen Schritten rückwärts von der Einfahrt zu spazieren. Dabei klebten ihre Blicke fest aneinander und sagten dabei mehr als Worte. Schließlich wandte sich der Dunkelhaarige um und schritt auf den Bürgersteig, der an die Einfahrt grenzte. Dort blieb er stehen, stopfte seine Hände in die Taschen und drehte sich noch einmal zu ihm um.
„Trotzdem hat’s dir gefallen!“, rief er, und Alex wusste, was er meinte. „Auch, wenn du in Gedanken bei jemand anderem warst!“
Wieder trat er ein paar Schritte rückwärts, bevor er den Kopf senkte und nach rechts in die Dunkelheit verschwand. Alex starrte ihm noch eine ganze Weile nach, bis auch er einen halben Meter rückwärts taumelte und daraufhin mit dem Rücken gegen die Karosserie seines Wagens stieß. Mit offenem Mund stand er da und versuchte die wirren Bilder, die an seinem inneren Auge vorbeijagten, zu ordnen: Er sah sich im Christiansen’s , sah sich auf der Rückbank des BMWs mit Lars, wie er ihn fickte; sah Lars‘ Grinsen, und sah, wie Lars ihm den verlorenen Koksbeutel am Tresen der Bar überreichte.
Von Minute zu Minute wurde ihm schlechter. Schließlich drückte er sich vom Wagen und eilte zu den Sträuchern neben den wild wuchernden Beeten, beugte sich nach vorn und begann kräftig zu husten. So lange, bis sich ein Würgen unter das Husten mischte, das ihm schließlich dazu verhalf, sich zu übergeben. Das tat er gleich mehrere Male und richtete sich erst wieder auf, als sich sein Magen leer anfühlte. Dann wischte er sich mit der flachen Hand über die Lippen und trat zum gepflasterten Weg zurück. Dort blieb er erneut stehen, starrte in die Richtung, in die Lars verschwunden war, und atmete tief durch.
Plötzlich kam ihm alles so irreal vor: die dunkle Nacht, die kahlen Bäume, deren Zweige im schwarzen Wind tanzten, das heisere Rauschen der vorbeifahrenden Autos und die Kälte, die ihn zittern ließ.
Er fühlte sich miserabel, schaffte es aber noch immer nicht, seine Gedanken zu ordnen. Er war eine Hülle seiner selbst, um die sein Verstand wie ein Geist kreiste und ihm zu verdeutlichen versuchte, dass er noch immer er selbst war. Doch das klang nicht nur unglaubwürdig, sondern das war es auch. Er war schon lange nicht mehr er selbst, hatte sich nur für kurze Zeit mit Bens Hilfe wiedergefunden. Aber seitdem war wieder viel geschehen, das ihn verändert hatte. Dass er gerade mit einem fremden, wesentlich älteren Kerl geschlafen hatte, war dabei seine geringste Sorge. Viel mehr fürchtete er sich vor seiner Emotionslosigkeit. Zwar wurde ihm zwischendurch übel, – so, wie gerade eben – doch entsprang diese Übelkeit nur seiner Überforderung und nicht seinen Gefühlen. Und sobald er sich dann übergab, ging es ihm sofort besser. Fast, als ob er all die Sorgen und Gedanken, die ihn in bestimmten Situationen überkamen, mit auskotzen würde.
Unbeholfen taumelte er zu seinem Wagen und musste sich an dessen Heck abstützen, als er für einen kurzen Moment mit seinem Gleichgewicht kämpfte. Dann drehte er sich um und lehnte sich gegen die Karosserie. Im Himmel leuchtete die magere Mondsichel. Doch dieses Mal erweckte sie in
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