Sommermond
eigenen Gründe dafür zurechtgelegt. Damit waren sie allerdings zu weit gegangen. Jo hatte eine Pressekonferenz einberufen und die vielen Gerüchte ausführlich dementiert. Dabei waren ihm weitere unangenehme Fragen gestellt worden, auf die er jedoch gekonnt geantwortet hatte. Er hatte sich gut vorbereitet. Wie immer. Dennoch stand bis heute in Frage, ob er den Umbau des Einkaufszentrums weiter planen durfte. Er tat es einfach. Ob dies umsonst war, weil das Projekt in naher Zukunft an einen anderen Architekten abgegeben werden würde, war umstritten. Doch Jo war eine Kämpfernatur. Er gab nicht schnell auf. Er hatte schon zu viel Zeit und Geld investiert, als dass er die Leitung des angefangenen Projekts widerstandslos an jemand Fremdes abtreten würde. Alex war sich sicher, dass Jo nun versuchte, die Allgemeinheit auf seine Seite zu ziehen. Er spielte den verzweifelten, alleinerziehenden Vater, der nur das Beste für seinen Sohn wollte, und nicht ahnen konnte, was sich in dessen Leben abspielte. Diese Rolle stand ihm gut. Er war ein grandioser Schauspieler. Im Grunde könnte Alex die Wahrheit auf den Tisch legen und sich damit an dem jahrelangen Desinteresse seines Vaters rächen. Doch warum sollte er das tun? Er hatte Jo schon der Presse zum Fraß vorgeworfen. Ihn nun derart verzweifelt zu sehen, reichte als Genugtuung.
Er blieb noch eine Weile stehen, lauschte den Tippgeräuschen seines Vaters auf der Computertastatur und ging schließlich weiter. Er schob die Tür zum Wohnzimmer auf und tastete nach dem Lichtschalter. Zielstrebig schritt er zu der eleganten Glasvitrine, in der sich der teure Schnaps befand. Dabei erinnerte er sich noch gut daran, wann er sich das letzte Mal an deren Inhalt bedient hatte. Das war vor wenigen Wochen gewesen. Schon damals hatte er sich seine Sorgen wegtrinken wollen. Vor allem, weil er sich in Ben verliebt hatte, sich das Schwulsein aber nicht hatte eingestehen wollen. Da hatte er sich betrunken, sich anschließend am Safe seines Vaters bedient und dabei alles aussehen lassen, als wäre es Ben gewesen.
Doch diese nahe Vergangenheit schien mittlerweile weit weg zu sein. Die Erinnerung fühlte sich fremd und unecht an. Er konnte sich kaum vorstellen, dass er Ben etwas Derartiges hatte anhängen wollen. Jo hatte den Dunkelhaarigen tatsächlich verdächtigt, ihn sogar aus der Villa geworfen. Alex hatte das Ganze zufrieden beobachtet. Erst als die Sache aus den Fugen geraten war, hatte er eingesehen, dass er Mist gebaut hatte. Kurze Zeit später hatten Ben und er sich geküsst. Mitten im Flur. Jo hatte sie erwischt und sofort verstanden, was Sache war.
Alex seufzte. Er zog die cremefarbenen Vorhänge zu, knipste eine Stehlampe an und schaltete das große Licht wieder aus. Dann trat er zur Vitrine und schob ihre gläsernen Türen zur Seite. Er ließ seinen Blick über das gesamte Inventar schweifen, hob dazu seine Hand, ließ sie vor den Flaschen kreisen und griff schließlich willkürlich zu. Daraufhin zog er einen bernsteinfarbenen Martell Cordon Bleu aus dem Regal. Das war ein klassischer Cognac. Er war nur noch zur Hälfte voll. Alex erinnerte sich daran, wie sein Vater die Flasche vor etwa einem Jahr in beiden Händen gehalten und dabei gelächelt hatte wie ein Kind, das seinen Weihnachtswunsch erfüllt bekommen hatte.
„Ein echter Klassiker“, hatte er dazu gesagt.
Alex überlegte einen Moment, seine zufällige Wahl zu revidieren, behielt die Flasche dann aber in seiner Hand. Er fuhr mit seinem Daumen über das unter dem Flaschenkopf eingelassene, blaue Emblem und schraubte den silberfarbenen Verschluss ab. Sofort stieg ihm ein würziger Geruch in die Nase. Eigentlich war es das Mindeste, einen derart hochwertigen Cognac aus einem Glas zu trinken, doch das war Alex egal. Er setzte die Flasche an seine Lippen und nahm einen kräftigen Schluck. Gleich darauf verzog er sein Gesicht. Er mochte keinen Cognac. Er schmeckte ihm zu fruchtig, hatte einen zu langen Abgang und hinterließ einen weihnachtlichen Geschmack nach Zimt, Mandeln und Orangen. Trotzdem setzte er die Flasche noch zwei weitere Male an, nahm jeweils mehrere kräftige Schlucke auf einmal und würgte den teuren Tropfen respektlos herunter. In seiner Brust dehnte sich ein Gefühl von Wärme aus. Der Alkohol stieg ihm schneller zu Kopf als erwartet. Vielleicht lag das auch an der Kombination mit den vorangegangenen vier Bieren. Alex wusste es nicht, und es war ihm egal. Er nahm einen weiteren Schluck und wischte sich
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