Sommermond
streng zu klingen.
„Wir beobachten dich“, erwiderte der Spanier. „Wir beobachten alles, was du tust.“ Er stockte kurz. „Und wir beobachten Ben. Also lass dir was einfallen! Noch geht es ihm gut.“
Alex fehlten die Worte. Hektisch versuchte er seine Gedanken zu sortieren und nur die wichtigsten Fragen zwischen ihnen herauszufischen.
„Warum kennst du seinen Namen?“, fragte er noch einmal. „Die Abmachung war, dass ich den Namen herausfinde und wir dann quitt sind.“
Er hörte, wie der Spanier amüsiert auflachte.
„Dachtest du wirklich, ich kenne den Namen des Mannes nicht, der meinen Bruder ermordet hat?“, fragte er.
Alex schüttelte fassungslos den Kopf. Er warf die abgebrannte Zigarette zu Boden und trat sie aus.
„Ihr habt mich reingelegt“, erkannte er dann.
Er wurde wütend, versuchte aber gefasst zu bleiben. Er wollte nicht riskieren, dass der Spanier auflegte. Er brauchte Antworten und zwar sofort.
Wieder hörte er den Spanier auflachen, und wieder konnte er sich vorstellen, wie der Spanier erheiterte Blicke mit Typen wie Rafael tauschte.
„Wir haben dich nicht reingelegt“, sagte er dann. Sein sarkastisches Grinsen war kaum zu überhören. „Du tust doch genau das, was abgemacht war, oder etwa nicht?“
Alex wusste, dass er nicht antworten brauchte. Vor der Haustür blieb er stehen und wechselte das Handy vom rechten zum linken Ohr.
„Ich brauche keinen Namen“, fuhr der Spanier fort. „Ich brauche ihn .“
„Was soll das heißen?“, hakte Alex nach. Er ahnte nichts Gutes.
„Du sorgst brav weiter dafür, sein Vertrauen zu gewinnen“, entgegnete der Spanier, „und konzentrierst dich fortan nur auf deinen Job, verstanden? Wie du weißt, kann ich auch anders. Ich könnte Ben –“
„Ich scheiß‘ auf Ben!“, unterbrach ihn Alex.
Die Worte hatte er nicht geplant, sie waren einfach aus ihm herausgeplatzt und entsprachen in diesem Moment der Wahrheit. Er wusste, dass er sich noch bis eben darauf gefreut hatte, Ben wieder zu sehen. Doch jetzt, wo die Sache ein vollkommen neues Ausmaß annahm, wäre er Ben am liebsten an die Gurgel gesprungen. Einfach, um ihm ins Gesicht zu schreien, dass er ihn hasste und verachtete; dass er ihn dafür hasste, dass er ihn liebte, und dafür, dass seine bloße Existenz gerade dafür sorgte, sein Leben zu zerstören.
„Das scheint nach unserem neusten Stand auf Gegenseitigkeit zu beruhen“, erwiderte der Spanier.
„Was …“
„Während er sich mit einem daher gelaufenen Kunststudenten amüsiert und sich ablenkt, stürzt dein Leben immer weiter den Bach herunter. Ist das nicht ein köstlicher Antagonismus? Er nimmt, du gibst.“
Der Spanier pausierte rhetorisch, während Alex die Worte verinnerlichte. Es widerte ihn an, wie viel Spaß der Spanier daran hatte, mit ihm und Ben zu spielen. Er benahm sich wie ein sadistischer Regisseur, der davon zehrte, seine Protagonisten zu quälen.
„Und das Schönste daran ist“, fuhr der Spanier fort, „dass er dir nicht egal ist. Egal, wie viele Kerle du fickst. Egal, wie oft du deinen Schwanz lutschen lässt.“
Alex schloss die Augen. Die Worte brannten sich in Bildern vor sein geistiges Auge und machten ihm deutlich, wie weit er bereits abgerutscht war. Trotzdem versuchte er, Ruhe zu bewahren.
„Was wollt ihr?“, fragte er gefasst.
„Das besprechen wir bei einem Treffen“, erwiderte der Spanier in seinem Akzent.
Alex atmete tief durch. Er öffnete die Augen und starrte auf die schwarz lackierte Eingangstür der Villa.
„Wann und wo?“, fragte er dann.
„Morgenfrüh, acht Uhr, an der Elbe.“
Alex nahm die Eckdaten auf. Mit ihnen verband er ein ungutes Gefühl. An der Elbe war er dem Spanier das erste Mal nach dem Unfall begegnet und hatte unweigerlich erfahren, dass das böse Spiel weiterging; an der Elbe hatte er sich mit Ben gestritten, ihn das letzte Mal gesehen; und nicht zuletzt war er an der Elbe entführt worden. Das Elbufer, an das er früher oft mit Sam gegangen war, um in Ruhe über sein Leben nachzudenken, entpuppte sich mittlerweile als Ort des Grauens.
„Wo genau?“, fragte er.
„Du wirst mich sehen“, erwiderte der Spanier. „Und sei pünktlich!“
Das waren seine letzten Worte, bevor er auflegte.
Alex stand regungslos da. Mittlerweile hatte er den richtigen Schlüssel zur Villa gefunden. Er hielt ihn zwischen Zeigefinger und Daumen. Die anderen Schlüssel hingen nutzlos am silbernen Ring. Langsam ließ er das Handy von seinem Ohr bis zu seinen
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