Sommermond
ihn anmachte, doch auch er war nur ein Mann und genauso, wie es andere Männer beglückte, wenn sie von hübschen Melanies behandelt wurden, brachte ihn die Berührung des jungen, gut aussehenden Arztes durcheinander. Als dieser schließlich fertig war, hielt er das Ende des Verbands mit seinem Finger fest und wühlte mit der noch freien Hand in seiner Kitteltasche. Dann zog er eine Rolle Tape hervor, klemmte sich den Gegenstand in den Mund und riss zwei Stücke ab, mit denen er den Verband fixierte.
„So, fertig!“ Mit diesen Worten trat er ein Stück vom Bett weg und begutachtete Ben zufrieden.
Bens Gedanken drifteten ab. Wie gebannt fixierte er den jungen Arzt.
„Alles in Ordnung?“, fragte dieser daraufhin.
Ben zuckte zusammen. Gleichzeitig bemerkte er, wie er den Kerl anstarrte und sich noch nicht einmal daran gemacht hatte, sein Hemd wieder zuzuknöpfen.
„Ja, ich …“, stammelte Ben und machte eine abtuende Geste. „Ich werd‘ mich dann mal wieder anziehen.“
„Tun Sie das“, erwiderte Dr. Schulte. „Und wenn Sie noch irgendwelche Fragen haben … Jederzeit!“
Ben nickte als Antwort, während er beide Hemdhälften nach vorn zog und sich an den Knöpfen zu schaffen machte.
„Alles Gute weiterhin!“, verabschiedete sich der Arzt und schritt zur Tür. Als er diese schließlich öffnete, kamen Bens Eltern samt Nick herein.
„Ben, wie geht es dir?“ Seine Mutter stürmte auf ihn zu und umarmte ihn innig.
Sein Vater stellte sich ans Fußende des Bettes. Nick hingegen blieb wie angewurzelt stehen und starrte Bens nackten Oberkörper mit weit aufgerissenen Augen an. Ben versuchte den Blick so gut wie möglich zu ignorieren und beeilte sich nur umso mehr damit, die Knöpfe durch die dafür vorgesehenen Schlitze zu drücken. Seine Mutter hatte derzeit von ihm abgelassen und blieb auf der Bettkante sitzen. In der linken Hand hielt sie einen Stapel Zeitschriften, in der rechten eine Schachtel Pralinen.
„Hier, das ist für dich!“, sagte sie und legte Ben die Mitbringsel auf den Schoß.
Ben lächelte. Unter den verschiedenen Zeitschriften befand sich Fachlektüre über Architektur.
„Danke, Mum“, brachte er leise hervor.
„Wir haben Dr. Bendfeldt eben getroffen. Er sagt, dass alles bestens verläuft“, fuhr seine Mutter fort.
Ben nickte. „Ja, eben wurde mir die Drainage gezogen.“
„Und was machen die Schmerzen?“, fragte nun sein Vater.
„Die sind auch besser“, log Ben.
Nick setzte sich derweil auf den Stuhl neben seinem Bett und musterte ihn gründlich.
„Trotzdem siehst du schlecht aus. Ist irgendwas vorgefallen?“, fragte er.
Ben blickte ihn irritiert an. Er konnte dem Klang von Nicks Stimme entnehmen, dass er mehr wusste, als er offensichtlich zugeben wollte.
Statt etwas zu erwidern, ignorierte Ben ihn und wandte sich wieder an seine Mutter.
„Die wollen mich nur noch ein paar Tage zur Beobachtung hier behalten.“
„Ich weiß“, erwiderte seine Mutter. „Und das ist auch gut so.“
Ben schwieg. Er hasste es, von drei Augenpaaren gleichzeitig beobachtet zu werden. Deshalb lenkte er sich ab, indem er sich den Pralinen widmete und die Schachtel aus der Folie befreite.
„Passt ganz gut“, sagte er dazu. „Ich hab‘ heute noch nichts gegessen.“
„Kein Frühstück?“ Seine Mutter klang besorgt.
„Ich bin nicht dazu gekommen. Erst musste ich zum Röntgen, dann kam die Visite und jetzt seid ihr da.“ Er klang genervter, als er gewollt hatte.
„Sollen wir dich besser wieder allein lassen?“, fragte seine Mutter sofort.
„Nein … Entschuldige! Ich bin nur total fertig.“
Er klappte den Deckel der Schachtel auf und nahm sich eine von den mit Pistazien verzierten Pralinen. Der bitterherbe Geschmack der Schokolade vermischte sich in seinem Mund mit dem süßen, alkoholgetränkten Marzipan.
„Gibt’s was Neues von Alex?“, fragte er dann ohne aufzublicken.
Einen Moment lang trat Stille ein.
„Gestern Abend hat es wohl Probleme gegeben“, antwortete schließlich seine Mutter. „Wir waren nicht da. Jo hat uns nur davon erzählt.“
„Was ist denn passiert?“, fragte Ben und schob die Pralinen von seinem Schoß. Der Appetit war ihm vergangen.
„Na, was wohl?“, mischte sich Nick ein. „Alex baut Mist und leugnet das dann vor der Polizei.“
„Bitte?“, fragte Ben. Seine Stimme klang höher als üblich.
„Na, ganz so war’s ja nicht“, warf seine Mutter ein. „Jo wollte uns nichts Genaueres sagen. Er war nur ziemlich verärgert,
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