Sommernachts-Grauen
gesessen hatte, an die Schulter getippt, woraufhin der aufgestanden war, um Johnny den Stuhl zu überlassen.
„Wieso? Das verstehe ich nicht“, sagte Ella.
„Ich habe mich aus dem Geschäft zurückgezogen und mache jetzt Kunst.“
Sofort musste Ella an Reiner denken. Der war sicher vollkommen hilflos und würde Susi mit seiner Art mächtig auf die Nerven gehen, da diese versuchen würde, weiterhin Thomas für die Nacht klar zu machen. Ella bedauerte es, ihrer Freundin nicht sagen zu können, was für ein Widerling dieser Mensch war. Sie rechnete jedoch damit, Susi demnächst irgendwo zu treffen. Auf der anderen Seite wusste sie aber auch, wenn sich Susi etwas in den Kopf gesetzt hatte, sie nicht nachgab, bis sie es bekam. Aus diesem Grund hätte sie sich also auch mit Thomas auf den Weg in seine Wohnung machen können.
„Und was soll das für Kunst sein?“, fragte Meier, der sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass dieser Typ ernsthaft ein Künstler sein sollte.
„Ich fotografiere den weiblichen Akt.“
„Ah ja, ich verstehe, so eine Art Künstler“, sagte Meier und nahm einen tiefen Schluck von seinem Bier.
„Dann machst du doch nichts anderes als vorher auch“, sagte Ella.
„Nein, nein, was denkst du? Natürlich nicht. Erstens bekomme ich dafür kein Geld, jedenfalls noch nicht, und außerdem ist das was ganz anderes.“
„Das erklär mir mal“, forderte Ella auf.
„Komm in mein Atelier und ich zeige es dir.“
„Das hättest du wohl gern“, sagte Meier und zog Ella ein Stück näher an sich heran.
„Ist das da dein Freund?“, fragte Johnny und zog an seiner Zigarette.
„Ich wüsste nicht, was dich das angeht“, sagte Ella, nahm sich ihr Glas und trank einen kräftigen Schluck, mit dem sie das Glas zur Hälfte leerte.
„Na, macht ja auch nix. Is mir ja egal. Was ist denn nun mit Ulli? Die ist irgendwie verschwunden.“
„Das wird wohl einen Grund gehabt haben.“
„Was willst du damit andeuten?“
„Nichts weiter.“
„Hör mal, ich weiß, was Frauen wollen. Sie hat sich jedenfalls nie beschwert und war äußerst zufrieden mit dem, was ich alles drauf hab.“
Meier lehnte sich ein wenig zur Seite und betrachtete Johnny von oben bis unten.
„Träum weiter, Mann“, sagte er.
„Ich kann mir vorstellen, dass du in deinem Alter noch absolut keine Ahnung von der weiblichen Anatomie hast“, konterte Johnny.
„Darauf kommt es nicht allein an“, sagte Ella.
Johnny fing an zu grinsen und wirkte alles andere als sauer auf die beiden.
„Was haltet ihr davon, wenn wir das Lokal verlassen? Begleitet mich doch auf eine Party.“
„Wir sind doch grad erst gekommen“, gab Ella zu bedenken. „Was ist das denn überhaupt für eine Party?“
„Der Reeder wohnt in der Nähe.“
„Der Reeder?“, wollte Ella wissen.
„Was denn für ein Reeder?“, wollte Meier wissen.
„Weißt du“, sagte sie zu Meier, „vielleicht ist das doch keine so üble Idee.“
„Na fein, dann lass uns mal hier abhauen. Ich übernehm’ eure Zeche.“
Kaum hatte Johnny ausgesprochen, war er von seinem Stuhl aufgesprungen und winkte der Bedienung, die sich sofort auf den Weg machte. Johnny zog aus seiner roten Lederjacke ein Bündel Hundert-Mark-Scheine, die er mit einem Weckgummi zusammen hielt, fingerte einen Schein heraus und überreichte ihn der jungen Frau, die ihn recht verwundert anstarrte.
„Stimmt so“, sagte er und machte eine wegwischende Handbewegung. „So, dann können wir ja gehen.“
Ella hatte sich erhoben, sodass auch Meier vom Stuhl aufstehen konnte. Er schob Ella an Johnny vorbei und hielt eine Hand schützend um ihre Taille.
„Hey“, rief Johnny, „gehört das hier euch?“
In der Hand wedelte er mit dem Zettel, den Ella am liebsten vergessen hätte. Meier drehte sich um, trat einen Schritt auf Johnny zu, riss ihm das Papier aus der Hand und verstaute es in seiner Hosentasche.
Kapitel 16: Reeder
Der Blick ins Fenster der alten Villa in der Hochallee wurde mit schweren Samtvorhängen verhindert. Nichts ließ erahnen, was sich hinter den dicken Mauern abspielte. Die Gegend war vornehm und in den Nachbarhäusern schliefen deren Bewohner sicher bereits seit Stunden. Niemand wusste, welcher Besuch sich nach Mitternacht auf den Weg machte und leise durch den Vorgarten schlich, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. An einem Einsatz der Ordnungshüter hatte keiner Interesse, erst recht nicht der Eigentümer, des wie ein Schloss anmutenden
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