Sommernachts-Grauen
geschehen.
Inzwischen waren zwei Wochen vergangen. Der Sommer war einem frühen Herbst gewichen, der aber noch immer warme Tage mit sich brachte. Eine wunderschöne Sonne ließ Ella glauben, dass das Leben gar nicht so bösartig war, wie sie angenommen hatte.
Endlich hatte man ihr erlaubt, Susi zu sehen. Umso überraschter war sie, als sie Reiner an ihrem Bett sitzen sah. Sie traute ihren Augen kaum, als sie registrierte, dass er Susis Hand hielt. Er wirkte verändert und das nicht nur, weil ein dicker Gips eines seiner Bein komplett eingenommen hatte. Seine Haare wirkten wie frisch gewaschen, so hatte sie ihn überhaupt noch nie gesehen. Ebenso wie den Pullover, den er trug.
„Hallo“, sagte Ella leise und eine Träne machte sich auf den Weg aus ihrem Auge.
Reiner erhob sich, was ihn viel Mühe kostete und er umständlich versuchte, sich seine Krücken zu greifen, sich auf sie zu stützen, um Ella entgegen zu kommen. Freundlich lächelte er sie an.
„Schön, dass du jetzt endlich kommen durftest“, sagte er und gab ihr nicht wie immer einen Kuss auf den Mund, sondern auf ihre Wangen.
Susi sah noch immer aus dem Fenster und Ella glaubte, sie hätte ihre beste Freundin für immer verloren. Auch das hatte Manuela also erfolgreich geschafft. Noch über ihren Tod hinaus sorgte sie für Unruhe.
Ella fiel es schwer Susi anzusehen. Nicht wegen dem, was Manuela ihr angetan hatte, sondern wegen des Schmerzes, den sie empfand, wenn sie daran dachte, was Susi hatte durchmachen müssen. Ella fühlte sich schuldig, denn im Grunde genommen war sie der Auslöser für all das gewesen.
„Ich geh dann mal und such mir eine hübsche Schwester, die mich aufs Klo begleiten darf. Für irgendwas muss es schließlich gut sein, dass sie mir das Bein gebrochen hat.“
Laut und vor allem langsam versuchte Reiner, aus dem Zimmer zu kommen. Erst als Ella die Tür in Schloss fallen hörte, ging sie auf Susi zu. Ihren Kopf zierte ein Turban aus Verbandsmaterial. Wenn man nicht gewusst hätte, dass Susi schwer verletzt worden war, wirkte sie geradezu anmutig und schön. Selbst die Wunden in ihrem Gesicht, die noch lange nicht verheilen und sie für immer zeichnen würden, konnte diesen Eindruck nicht schmälern.
„Hallo“, sagte Ella nochmals äußerst zögerlich und leise, „wie geht es dir?“
Jetzt drehte Susi ihren Kopf und sah Ella direkt an. Sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken, da es sie schmerzte, wenn sie die Wunde berührten.
„Wie soll es mir schon gehen?“
„Susi, es tu mir so leid, dass ich …“
„Nein, schon gut. Ich weiß, dass du nicht eher kommen konntest. Das hat mir Reiner erzählt.“
„Es tut mir unglaublich leid, was dir passiert ist. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Das alles ist so furchtbar.“
„Ja, das ist es. Sie hat nachhaltig dafür gesorgt, dass ich sie in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Sie wird ab jetzt also ein Teil von mir sein.“
„Und wie fühlst du dich?“
„Wie soll man sich schon fühlen, wenn man weiß, dass man nie mehr Haare haben wird?“
Susi sah wieder aus dem Fenster.
„Ella, meine Haare, meine schönen Haare. Sie werden nie wieder kommen. Meine Schönheit ist dahin und das, wo ich noch nicht mal 30 bin. Wer wird mich denn jetzt noch nehmen wollen?“
Susi hatte alles versucht, konnte aber die Tränen nicht länger unterdrücken. Als sie ihr die Wange hinunterliefen, verzog sie ihr Gesicht zu einer Fratze, was nochmals Schmerzen verursachte.
„Ach, mein Schatz“, sagte Reiner, der wie aufs Stichwort zurück ins Zimmer humpelte, „einen schönen Menschen kann doch nichts entstellen und du weißt doch, dass es so schicke Zweitfrisuren gibt. Okay, für dich wäre das eher eine Erstfrisur.“
„Reiner“, mahnte Ella, musste aber feststellen, dass Susi anfing zu lachen und ihre Tränen vergaß.
Wie selbstverständlich setzte sich Reiner wieder auf den Stuhl neben ihrem Bett und griff sich automatisch ihre Hand, die sie nicht fortzog, sondern seinen Druck erwiderte.
„Reiner hat mir das Leben gerettet“, sagte Susi.
„Ich weiß, davon habe ich gehört. So viel Mut hätte ich dir gar nicht zugetraut. Was war passiert?“
„Nichts weiter“, sagte Reiner, „ich hatte ihr dringend etwas mitzuteilen, das keinen Aufschub zuließ.“
„Aha, wirst du mir auch sagen, was genau?“
„Nein, das geht nur Susi und mich was an.“
Zu Ellas Erstaunen lächelte Susi ihn an. Ihr musste ebenso die Erinnerung an die Abscheu für
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