Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
jeder Seemann weiß, dass dieses Leuchten einen Wetterwechsel ankündigt und das Schicksal sich wendet. Am Freitag, dem sechsten Tag des Sturms, offenbarte der Morgen, dass ihr Schicksal sich tatsächlich gewendet hatte, aber zum Schlechteren. Mit Schlagseite nach Steuerbord stöhnte die Sea Venture einmal auf, und nahezu jede Hoffnung erstarb. Die Kapitäne und Navigatoren kletterten an Deck und brüllten Befehle, das Schiff abzutakeln und alles über Bord zu werfen, das sie in die Tiefe ziehen könnte. Truhen und andere Gepäckstücke landeten im Meer. Die Öl- und Cidertonnen und die Fässer mit Dünnbier wurden angebohrt und weggehievt, und Jane hob seufzend mit hoch und machte klar.
»Bald haben wir’s geschafft, Bursche.« Ravens klopfte Jane auf den Rücken. Seite an Seite standen sie am Heck und beobachteten ein Weinfass, das auf den Wellen tanzte. »Cap’n Newport wollte, dass wir den Großmast umhacken, aber ohne Segel wären wir verloren, sollte sich dieser Wind jemals legen.«
Zwei Herren und eine Dame stellten sich für eine kurze Atempause zu ihnen an die Reling. Sie sprachen darüber, wie viel Meerwasser seit Beginn des Sturmes aus dem Schiff gepumpt worden war, und Mr. Strachey führte überzeugend aus, dass die Mannschaft mindestens hundert Tonnen Wasser geschöpft hatte. Der Morgen war fast vorüber, und in den Sturmwolken zeigten sich kleine Löcher und Risse, durch die eine matte Sonne hindurchschimmerte. Einer der Herren ließ eine offene Flasche Schnaps herumgehen, und selbst Jane nahm einen tiefen Schluck. Dies ist mein letztes Stündlein, dachte sie, ich werde mich von dieser Welt verabschieden und gefasst in die nächste gehen. Sie warf einen Blick auf ihre Mitreisenden, alle krank und wund vom Salz, hungrig und durstig, ausgelaugt bis zur Erschöpfung. Wie in einem endlosen Traum hatten sie geschöpft und gepumpt, bis die Muskeln und Sehnen ihrer Arme und Beine sich anfühlten, als wären sie überdehnt und gerissen. Selbst die Mannschaft, alles gestandene Seeleute, war abgekämpft und stellte sich darauf ein, die Hoffnung hinter die Luken zu sperren und ihre Seelen dem Meer anzuempfehlen. Zwei Damen saßen weinend in der Ecke, und nur Somers hielt während des ganzen elenden Vormittags Wache. Es war weit nach zehn Uhr, als der Admiral aufsprang und laut schrie: »Land!«
Alle rannten nach vorn und wollten sehen, was er da entdeckt hatte, und hinter den Wogen tauchte tatsächlich ein Flecken Erde auf, und schon bald wiegten sich Baumwipfel im Wind. Jane kletterte mit Mr. Chard die Takelage hoch, um das Segel zu entrollen, und dankte Gott, dass der Kapitän sich mit seinem unchristlichen Plan, den Großmast abzuhacken, nicht hatte durchsetzen können. Das Senkblei wurde geworfen, es maß sieben Faden tief, und als der nächste Befehl kam, hatte sich die Tiefe auf vier Faden verringert. Die Sea Venture schoss auf den Strand zu, und Somers hatte das brennende Verlangen, sie auflaufen zu lassen und auf diese Weise in Sicherheit zu bringen. Doch eine halbe Meile vor der Küste geriet das Schiff in wildes Gewässer, krachte auf ein Riff und stoppte abrupt. Männer, Frauen und alles, was nicht verzurrt war, purzelte in einem wilden Durcheinander über das Deck, während das berstende Holz, das auf den zackigen Korallen festsaß, schrecklich ächzte. Weiter würde das Schiff nicht mehr kommen, gleichgültig, aus welcher Richtung der Wind blies. Jane rannte unter Deck und sah, dass Wasser durch die klaffende Scharte strömte wie Blut aus frischen Wunden.
»Wir sind angebissen und werden nun von Wind und Flut zerkaut«, sagte Frobisher. »Dieses Schiff wird nicht mehr freikommen, das ist so sicher, wie ein Hund an einem Knochen festhält.«
»Mörderischer Gott«, sagte Edward Chard. »Wir sind so nah dran und doch so fern.«
Großes Wehklagen erhob sich von den Männern und Frauen, Schreie der Verzweiflung und des Schreckens, und plötzlich drängelten alle wie ein Mann in Richtung Vorderdeck zum Rettungsboot. Panik sprang rasend von einem zum anderen über, gleichgültig, ob sie Gentleman oder Seemann waren.
Master Ravens saß bereits im Ruderboot, den Säbel gezogen, um Übergriffe zu verhindern. »So nicht, ihr Hundesöhne! Ihr wartet auf die Befehle des Admirals.«
Somers ging mitten durch die Menschenmenge und stellte die Ordnung wieder her. Acht Matrosen wurde befohlen, sich an die Ruder zu setzen und die Passagiere, nach Klassen aufgeteilt, über das Wasser an das Ufer zu bringen,
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