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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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sie an einem herrlichen englischen Junitag im Hafen von Plymouth abgelegt hatte, befand sie sich, zerfetzt vom Sturm und abgeschnitten von der übrigen Flotte, inmitten einer Hölle aus Wasser. Das gute Schiff war un ter dem Befehl von Sir Thomas Gates, Admiral Somers und Cap’n Newport auf dem Weg zur Siedlung Jamestown in Virginia und hatte hundertfünfzig Seelen an Bord, Männer, Frauen und Kinder. Vier Tage tobte der Hurrikan, die Wolken peitschten und spien und verfinsterten abwechselnd Sonne und Mond. Blitze zuckten auf der Spitze des Großmasts und jagten die Spieren hinunter, die Admiralsflagge am Besansegel knatterte steif im unablässigen Sturm, und der wilde, wüste Ozean wogte und drohte sie zu verschlingen. Alle Mann ohne Ausnahme pumpten unter Deck, im Kalfater klafften große und kleine Löcher, bis schließlich der gesamte Atlantik sich durch die Lecks ins Schiff zu ergießen drohte. Der Schiffszimmermann, Mr. Frobisher, schlug vor, die Löcher mit Rindfleisch und Keksen – immerhin ein Gewicht von zehntausend Pfund – aus dem Laderaum des Schiffes zu stopfen. Die einfachen Matrosen und Diener legten im Wasser die Kleider ab, damit ihre Hemden durch das Salz nicht schrumpften, und nur einer, Long John Long, der Kabinenjunge des Navigators, weigerte sich, auch nur ein Fädchen auszuziehen. Er war ein hübscher Kerl mit einem schönen Gesicht, etwa 14 Jahre alt, und ohne jedes Haar auf den Wangen.
    Master Ravens, der Navigator, auch er ohne Hemd und Wams, brüllte in dem Getöse seinem Bootsmann zu: »Red mit den Männern. Voller Einsatz, sonst kentern oder zerbersten wir!«
    Der kahlköpfige Bootsmann wandte sich rot vor Anstrengung an Mannschaft und Edelleute, die der Überlebenskampf nun vereinte. Lauter als der Sturm brüllte er: »Los, ihr Seebären, beeilt euch und holt durch!«
    Kaum hatte der Befehl seine Lippen verlassen, galt er schon nicht mehr. Das entfesselte Meer staute sich zu einer Wasserwand auf, die auf ihre Köpfe fallen wollte. Und als sie es tat, fegte sie von Steuerbord über die Reling, überspülte die Decks vom Bug bis zum Heck, füllte die Sea Venture von den Luken bis hinauf zum Oberdeck mit Wasser und warf den Steuermann vom Ruder. Die Pinne wedelte wie ein Hundeschwanz, und als der Steuermann versuchte, sie zu packen und wieder in seine Gewalt zu bringen, wurde er beinahe in die peitschenden Wellen geschleudert und nur durch Jesu Gnaden nicht in Stücke gerissen. Der Kabinenjunge auf dem Deck krümmte sich wie ein Krebs zusammen und schnellte dann krabbelnd nach vorn, um die Ruderpinne, an der aller Leben hing, festzuhalten. Ohne diese entschlossene Tat wäre das Schiff mit al len Mann auf den Meeresgrund gesunken.
    Sie tauchte einen Finger in das Waschbecken und quirlte damit das Wasser, sodass ein Strudel entstand und das vom Sog erfasste Schiffchen sich wie ein Kreisel drehte. Mir wurde schwindlig, und ich wünschte, sie würde aufhören.
    Der Admiral, so fuhr sie fort, kam triefend nass aus dem Schiffsbauch und stand bis zu den Knien im Salzwasser. Alle, die wieder auf den Beinen waren, drängten sich um ihn. »Wir sind zwar durchtränkt, aber nicht volltrunken, und wenn ich schon sterben muss, dann nicht da unten wie in einer Kiste, sondern unter Gottes weitem Himmel gemeinsam mit diesen tapferen Seeleuten und meinen guten Freunden.« Er hob die Faust zu den Gewitterwolken. »Blast und peitscht nur, ihr Winde, zeigt, was ihr könnt, und dann werden wir sehen, ob ihr auch diese edlen Engländer besiegen könnt!«
    Long John Long, der sich mit aller Kraft ans Ruder stemmte, hörte verwundert zu und dachte, was für ein verfluchter Narr dieser Mann doch sei, mit seinem falschen Stolz, der ihm aus dem Mund quoll wie schwarzes Drachenblut. »Männer«, raunte sie – der Kabinenjunge war nämlich, wie ihr mittlerweile sicherlich erraten habt, ein Mädchen. Sie stand kurz vor dem Scheitelpunkt ihres Wechsels zur Frau und wickelte sich ein Leinenband um die winzigen Brüste, ansonsten aber konnte man sie leicht für einen Jungen halten. »Männer mit ihrer Eitelkeit! Als ob jeder Bursche ein strammer Königssohn wäre. Und wo ist der jetzt? Könnte denn James den Himmel besänftigen und einem solchen Sturm entkommen?«
    In dieser Nacht kam das Feuer, es tanzte über die Wellen, sprang an Deck, verweilte bei den Spieren und züngelte die Takelage hoch, die noch nicht zerfetzt war. Die Griechen nannten es Castor und Pollux, und die Franzosen bezeichneten es als Elmsfeuer, und

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