Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
jeder Hinsicht ein Paradies, und zu ihrer Freude und Erleichterung fanden sie bald frisches Wasser und Nahrung. Im Gewässer vor der Küste gab es Fische im Überfluss, die sich mit einem spitzen Stock aufspießen ließen. Später knüpften sie aus der zerfetzten Takelage ein Netz, das sie, wenn sie es im Wasser auslegten, binnen Kurzem freigiebig mit Meerbarben, Felsenbarschen und großen Sardinen belohnte. Langusten ließen sich mit der Hand fangen, doch man musste sehr flink sein, um nicht von ihren Scheren gezwickt zu werden. Mit der Zeit kamen Meeresschildkröten, um ihre Eier im Sand abzulegen, die man ausgraben und roh essen konnte. Geschmort boten die Schildkröten selbst ein schmackhaftes Fleisch, weder Fisch noch Federvieh, aber immer fein, und ein einziges großes Tier reichte allen für drei Mahlzeiten. Wilde Schweine, die zweifellos von früheren Besuchern – Spaniern, Portugiesen, vielleicht auch Iren – auf diesen Inseln zurückgelassen worden waren, fing man auf höchst erfinderischer Weise ein. Mr. Chard hatte eine Rotte Schweine entdeckt, die im Wald herumwühlten, und in dieser Nacht legte er sich mit ihnen, neben dem Eber, zur Ruhe. Als der sich dann an ihn schmiegte, packte er sein Bein, hielt es fest, band ihm ein Seil um und führte Eber, Sauen und Ferkel zum Lager, als wäre er, Chard, der König aller Schweine. Crab, der Hund, bewachte den Pferch, den sie gebaut hatten, und die Schweine wurden gezüchtet und der Reihe nach geschlachtet, wenn die Überlebenden Fisch oder Langusten leid waren. Admiral Somers ließ einen Garten anlegen und mit englischen Samen bestellen, und nach zehn Tagen bereits reckten die ersten Schösslinge ihre grünen Hälse; Zuckermelonen, Erbsen und Zwiebeln trugen jedoch nie Früchte, denn die Pflanzen wurden schnell von den vielen Vögeln und kriechenden Insekten aufgefressen. Doch an niedrigen Büschen gediehen Beeren, und die Palmfrüchte erinnerten, wenn man sie kochte, viele an englischen Kohl. Mr. Chard entdeckte, dass man aus zerstoßenen und fermentierten Palmblättern ein Getränk brauen konnte, das ähnlich wie Portwein schmeckte.
»Koste mal, Junge!«, sagte er eines Abends gegen Ende ihres ersten Monats in der Wildnis. Sie saßen auf dem Stamm einer gefällten Zeder und genossen nach zehn Stunden harter Arbeit einen Augenblick des Friedens. Vom Strand aus beobachteten sie, wie der Mond aufstieg und ein Sternbild nach dem anderen auftauchte. Wie so viele der Männer hatte Chard kein Hemd an, und seine sonnenverbrannte Brust, braun wie ein Käfer, glänzte im schwindenden Licht. Sein Bart war so sehr gewachsen, dass er, wenn er sprach, wie ein Bär oder ein anderes märchenhaftes Tier aussah. Sie nahm den Becher von ihm entgegen und trank so viel, bis der Alkohol sich in ihrem Bauch ausbreitete und in ihre Glieder kroch.
»Das ist das Zeugs, mein Junge, das dich aller Sorgen enthebt und das ganze alte England vergessen lässt! Dies Kleinod, in die Silbersee gefasst , so eine Scheiße!«
Der Palmwein toste in ihrem Kopf.
»Ich für meinen Teil bin froh, dass wir hier sind«, sagte Chard. »Froh über den Sturm, froh, dass wir diesem verfluchten Schiff entronnen sind. Es ist mir gleich, ob wir diese Insel je wieder verlassen. Ich bin das Meer so leid, bin es leid, wie eine Ratte unter Deck eingepfercht zu sein, nie dein eigener Herr, sondern dazu verdammt, Männern ohne Verstand zu dienen, Männern, die geradewegs mitten in den Sturm hineinsegeln. Schwachköpfe und Schurken, die dich mit ihrer Prahlerei ertränken wollen. Und sie sind es, die bestimmen, wo es langgeht!« Er goss John noch einen Becher Wein ein. »Jede Menge Fisch, die Sonne scheint dir auf den Pelz, keine schiebenden und drängelnden Menschen. Wäre ich nur mein eigener Herr, würde ich ihnen schon zeigen, was sie für Narren sind. In England brauche ich Geld, aber hier, Kumpel, hier gibt es keinen König, hier erreicht man alles durch eigene Arbeit. Hier kann ein Chard ein Lord werden, und ein Lord ist nichts Besseres als ein Chard. Trink aus, John, und freu dich, dass du ein freier Mann bist. Das Gesöff hier wird dir bald einen Bart sprießen lassen.«
John nickte bei diesen guten Argumenten, obwohl der Wein mit ihrem Verstand spielte, bis alle Vernunft und sogar jedes Gefühl verschwunden waren. Die Sterne verloren ihren Platz am Nachthimmel, und die weißen Laken auf jeder Welle brandeten mit solcher Heftigkeit heran und wieder fort, dass sie fürchtete, die Bettdecken könnten sie
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