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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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was wir hier haben? Ich habe gehört, dass Wilde in den Wälder bei Jamestown leben, Rothäute, die nackt herumlaufen und kein Wort Englisch sprechen. Die Menschen dort leben in Todesangst, es fehlt ihnen an Essen und Obdach. Die Winter sind strenger als in den schottischen Highlands und die Sommer heißer als im Hades. Warum sollten wir dieses Eden für ein Fegefeuer verlassen?« Chard legte seinen Arm um Johns Schultern und zog den Jungen an sich. »Bleib bei uns, ich bitte dich, erspare dir das Risiko. Sollten sie überleben, werden sie bestimmt Schiffe aus England mit viel besseren Balken und Planken schicken. Mr. Carter wird bleiben und Mr. Waters und ich.«
    Ein seltsames Wohlgefühl, unter den Fittichen von Mr. Chard zu sein, und sie dachte an jene Nacht am St. Catherine’s Beach, als sie zum ersten Mal zusammen eine Flasche Palmwein getrunken hatten, und wie schön er ihr vorkam, seine warme gebräunte Haut, sein wilder Bart, sein Haar, seine Augen. »Ja«, sagte sie. »Ja, ich will mit Euch warten. Warten auf Rettung durch ein engli sches Schiff, statt durch diese Boote in unserer Bucht.« Und da sie sich entschieden hatte, das Los mit ihm zu teilen, sehnte sie sich nach einem Zeichen seiner Zuneigung. Doch Chard klopfte nur mit seiner breiten Hand auf ihren schmalen Rücken und nickte ihr kichernd zu.
    Eine große Zeremonie begleitete den Stapellauf der Patience und der Deliverance an einem schönen Tag im Mai des Jahres 1610, als die Gestrandeten von den Bermudas zu der Chesipiak Bay aufbrachen. Gates hatte ein Kreuz aus dem Holz des Wracks errichtet und daran eine Zwölf-Pence-Münze und ein Kupferschild genagelt, das Jane nicht lesen konnte. Christopher Carter erklärte ihr, die Worte beträfen die Ankunft der Sea Venture an dieser Küste vor einem Jahr, und dass dieses schöne Kreuz ein Lobpreis für ihre großartige Errettung sei. Trotz der flehentlichen Bitten von den Rolfes, von Mr. Strachey und Somers persönlich wollte Jane sich nicht den Reisenden anschließen, sondern verbarg sich mit den drei anderen auf einem Kap, um zu beobachten, wie die Schiffe Segel setzten und zu bloßen Spielzeugbötchen wurden, ehe sie über den Rand der Welt kippten.
    Eine Art Trostlosigkeit befiel uns alle im Badezimmer, als wir die Schiffe im Waschbecken davonsegeln sahen, und ein Gefühl tiefer Einsamkeit wanderte von einem zum anderen, als wären wir wie die Zurückgelassenen auf den Bermudas die einzigen vier Menschen auf der wilden Welt. Dolly rutschte neben dem alten Mann unruhig hin und her und stieß lange Seufzer aus, wohingegen er einen versonnenen Blick auf einen nur dem inneren Auge sichtbaren Horizont warf, der sich in den eintönigen Wogen des riesigen, endlosen Ozeans verfing. Auch in Janes Blick schienen Erinnerungen an eine ferne Zeit und an die Aussichten jener gestrandeten Seeleute auf, die nicht wussten, welches Schicksal sie erwartete, jedoch die Gewissheit hatten, dass sie nun hoffnungslos allein waren. Ich für meinen Teil staunte über das freche Draufgängertum des Mädchens.
    »Hat es dir nichts ausgemacht«, fragte der alte Mann, »mit diesen drei salzverkrusteten Schurken festzusitzen?«
    Sie verdrehte die Augen und klemmte eine Locke hinter das linke Ohr.
    Obwohl sie ihrer Erscheinung und ihrem Gebaren nach einer von ihnen war, ein Junge unter Männern, erging es Long John nicht besser als einer Frau. Sie musste nicht nur immerzu ihre Weiblichkeit verbergen, sondern musste zudem den Burschen spielen. Die drei Seemänner – Christopher Carter, Robert Waters und Edward Chard – wurden ihre drei Herren, und hatte sie in der Vergangenheit Ravens bedient, so gab es nun drei, für die sie sorgen musste; sie bereitete alle Mahlzeiten zu, holte sauberes Trinkwasser, kümmerte sich um den kärglichen Garten, flickte löchrige Hosen und erledigte allerlei Aufgaben, die ihr wegen ihrer Jugend und ihres Rangs zufielen. Obwohl sie oft über ihre Pflichten grollte, waren sie doch leicht, und häufig vergingen ganze Tage, an denen es nichts weiter zu tun gab, als stundenlang im Schatten zu träumen; die Männer wollten sich nicht bewegen oder gar handeln. Waren die Männer unpässlich, konnte Crab, Mr. Carters Hund, ihnen ein treuer Gefährte sein. Monat für Monat verging, und als bis zum Ende des Sommers kein rettendes Schiff auftauchte, gaben sie sich damit zufrieden, auf ihrer Insel des Archipels zu bleiben; sie fischten im ergiebigen Meer, töteten ein Schwein oder zwei Cahows für ihr Abendessen

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