Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
Anmerkung am Rand nach. »So drohte der Herr, seinen Propheten mit einem furchtbaren Tod zu bestrafen, aber so stärkte und ermutigte er ihn auch, indem er ihn seiner Unterstützung und Hilfe bei der ihm auferlegten Pflicht versicherte.«
»Quatsch«, sagte Chard. »Drei Tage und drei Nächte. Was ich esse, bleibt nicht länger als einen Tag in meinem Bauch. Reinster Aberglaube. Habt Ihr nie einen Wal aus der Nähe gesehen, Mr. Carter?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Der Buckelwal hat keine Zähne, sondern einen Kamm in seinem Maul, mit dem er das Wasser durchstreift. Und in den Zinken bleiben viele Krabben hängen, und die verschlingt der Wal, und das Wasser spritzt er durch das Loch in seinem Kopf wieder aus.«
Mr. Waters lachte und spuckte einen Kern auf den Boden. »Das ist wahr, aber es gibt auch Wale mit Zähnen. Habt Ihr nie vom Pottwal gehört? Der hat Zähne, die sind so groß wie Crab, und er könnte einen ganzen Hund, ein Schwein oder einen Menschen verschlucken. Vermutlich war es der Pottwal, der Mr. Jona gefressen hat, ein wildes Untier, so groß wie eine Kirche, aber furchterregender.«
Jane zog die Knie an die Brust, schlang die Arme um die Beine und sann verwundert über das Leben dieser Seefahrer nach. Chard pflückte einen Halm Sauergras und steckte sich das untere Ende zwischen die Zähne. »Damals auf See auf dem guten Schiff, auf der Forbearance, knapp vor der Küste Aifrics, sah ich eines dieser Monster, das in tödlichem Kampf mit einer mächtigen Seespinne tosend die Wasseroberfläche durchstieß. Riesig war sie, mit Saugnäpfen an den langen Beinen, die sie um den mächtigen Kopf des Wals geschlungen hatte, ihr Auge größer als ein Kasten Ale, es blinzelt nie, und die Kiefer des Pottwals beißen und schnappen wie ein Schere. Und dann tauchen sie mit einem Riesenplatsch unter und holen, soweit ich sehen kann, nicht wieder Luft, und nur Gott kennt den Sieger.«
»Den Wal hätte ich zu gerne in die Finger bekommen«, sagte Waters. »Ich hätte ihm den Kopf eingeschlagen, denn in seinem Kopf ist das Gold, die Ambra, dieses stinkende Zeug, aus dem liebliches Parfüm gemacht wird, und nur der liebe Gott weiß, wie. Ein Bröckchen von dem Zeug kann einen Mann reich machen.«
»Ein Wal ist wie Lord Gates, ein reicher Mann, der nie aufhört, das Maul aufzureißen, bis er alles verschluckt hat.«
»Eine schöne Moral«, sagte Carter. Er war wieder ins Buch vertieft und las vor: »Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst, und er antwortete mir, ich schrie aus dem Bauch der Hölle, und du hörtest meine Stimme.«
Waters stand plötzlich auf und schaute zum Horizont. »Vielleicht hätten wir doch mit den anderen fahren sollen. Sie kommen wohl nicht mehr zurück, oder?«
Carter fing wieder an, die wahre Geschichte von Jona zu erzählen, einschließlich der Anmerkungen, doch die anderen beiden schweiften mit ihren Gedanken in die letzten Schlupfwinkel ihrer Erinnerungen, bis sie völlig woanders waren. Am Ende der Geschichte lag Waters schlafend in der Sonne, und Chard machte den Eindruck, als hätte er wegen der Geschichten in seinem eigenen Kopf nicht ein Wort der Predigt gehört.
Mit derartigen Gesprächen und Beobachtungen verbrachten sie ihre Tage und Nächte, sie erfreuten einander mit Geschichten von der See, und es hätte ein glückliches Leben sein können, wäre ihre Geselligkeit so geblieben, aber jedes Paradies hat seine Gefahren, weil im Garten von Adam und Eva immer auch die Schlange kraucht. Um den zweiten Jahrestag ihrer Abreise von England zu begehen, brauten Mr. Chard und Mr. Waters ein weiteres Quantum ihres Gesöffs, und Mr. Carter erlegte eine Meeresschildkröte, die er in einem großen Bottich mit den Beeren und Nüssen schmorte, die Anfang Juni ihre Köpfe reckten. Ein herrliches Fest wurde gefeiert, zwei Tage und zwei Nächte lang Trinken, Schlemmen und Lustbarkeiten. Sogar Mr. Carter trank seinen Becher. »Auf die Neue Welt«, rief er am zweiten Abend aus, kurz bevor er am Strand neben dem dösenden Mr. Waters umkippte, der mit dem Kopf auf dem Bauch des Hundes schlief. Als er seine lustigen Ge fährten so in Morpheus’ Armen sah, brüllte Mr. Chard auf den weiten Atlantik hinaus: »Ich brenne!« Und dann: »Stell dir vor, John, heiß in einer Juninacht. Wir sind nicht mehr in England«.
Sie strich ihr langes Haar zurück und wischte sich den Schweiß vom Nacken, als sie sah, dass er alle Kleider auszog und in die Brandung watete. »Komm, Junge, komm mit mir. Kühl dich ab.
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