Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
er zuerst auf dem an einem Haken hängenden Hut des Predigers gelandet war, zeigte er sich – mirabile dictu – zwischen den Fingern von Martha Corey. Und dann flog ihr Geist auf und ließ sich oben auf einem Deckenbalken nieder, wie ein im Sattel reitender Mann, hoch oben in der Kirche, obgleich sie selbst sich in der versammelten Gemeinde befand. Abigail Williams und Ann Putnam schworen es und beschuldigten darüber hinaus Gevatterin Corey, sie sei die neueste Ursache ihrer Qualen.
Am folgenden Tag, am 21. März, wurden wir in unserer Funktion als Magistrate herbeigerufen, um zu untersuchen, ob Mrs. Corey verhext sei und die Qualen der Mädchen und der anderen Beschuldiger verursache. Obgleich es zwölf Uhr mittags war, versammelte sich eine Schar von hundert oder mehr Menschen von hier aus dem Dorf und der Stadt Salem.
Ich begann mit einem Gebet für all diese Versammelten, dass der Herr uns bei all unseren Erwägungen leiten möge, dass die gepeinigten Mädchen und die Frauen, auf die der Schrecken übergesprungen war, dass sie befreit werden mögen, dass Gott die Wahrheit offenbare und sein Wille geschehe. Die Beschuldigte bat um die Erlaubnis, beten zu dürfen, und ein Gemurmel erhob sich aus der Mitte der Versammelten, darunter manche, die ihre Einwände in den Saal hineinriefen. Ich sah mich um: Die Besessenen schüttelten sich in Krämpfen und stöhnten, als bliese ein böser Wind durch die Reihen, und verschiedene andere – Gevatterin Bishop und Gevatterin Proctor und Gevatterin Bonham – nahmen es desgleichen wahr und fingen an, es den Mädchen gleichzutun, doch dies war reine Mitleidenschaft. Auch Thomas Putnam beobachtete mit einem Auge aufmerksam die Versammelten und mit dem anderen die Beschuldigte. Ganz zu Recht, wie mir scheint, habe ich Gevatterin Corey gesagt, sie sei nicht hier, um zu beten, ihr bleibe noch reichlich Zeit, Frieden mit dem Herrn zu schließen, und dass sie sich zu den Fragen der Magistraten zu äußern habe.
Mr. Hathorne übernahm die Rolle des Inquisitors. »Gevatterin Corey, warum habt Ihr diese Kinder heimgesucht?«
»Ich suche sie nicht heim«, antwortete sie. »Ich sehe doch kaum eines von ihnen, aber sie sind vielleicht im Dorf angesteckt worden.«
»Sie behaupten aber, sie würden heimgesucht«, beharrte Hathorne. »Wenn nicht Ihr, wer dann martert sie so?«
»Ich weiß es nicht. Wie sollte ich es auch wissen?«
Aus der Ecke, in der Alice kauerte, drang ein Seufzen, erst ein leises Brummen wie das Schnurren einer zufriedenen Katze, dann öffnete sich ihr Mund, und der Laut verstärkte sich zu einem O aus voller Kehle, und ein Zittern stieg von ihren Fingerspitzen über die Hände zu den Schultern. Sie schüttelte heftig den Kopf und fiel dann in einen ruhigen tranceähnlichen Zustand, wobei ihr Blick sich auf etwas heftete, das für uns unsichtbar war. Durch das offene Fenster wehte der Geruch von Verwesung herein. Ich räusperte mich und las weiter.
»Wie soll ich wissen, was diese Mädchen plagt«, sagte Martha Corey. Sie verdrehte ihre Finger und rang die Hände.
Aus den Reihen, wo die Mädchen saßen, gellte ein schmerzerfüllter Schrei. »Warum quält Ihr mich?« Eine von ihnen, Ann Putnam, sprang auf und sagte: »Seht, ihr gelber Vogel pickt in meine Hand.« Sie streckte die Finger aus, damit die Versammlung die roten Male auf ihren Handflächen sehen konnte.
Ich fragte Gevatterin Corey, ob sie einen ihr vertrauten Geist in Gestalt eines gelben Vogels habe, der ihr aufwarte.
»Einen gelben Vogel? So was kenne ich nicht.«
Daraufhin ordnete Mr. Hathorne an, die Frau solle nach einem solchen Zeichen abgesucht werden. Und das Mädchen, das den gelben Vogel gesehen hatte, rief, nun sei es zu spät, der Vogel sei davongeflogen. Ann Putnam senior, die Mutter des Mädchens, sagte: »Indes hat sie aber mein Kind in den Kopf gestochen. Kommt und untersucht sie.« Der Gerichtsdiener ging zu dem Kind und entdeckte eine Eisennadel, die aufrecht durch die Haube des Kindes stakte und in ihrem Haar steckte. Mr. Hathorne schob seine Augengläser nach oben auf die Stirn und legte die eidesstattliche Erklärung, die er gerade gelesen hatte, nieder. »Das Kind sagt: Und sie befahl mir, mich ins Buch einzuschreiben, in ein Buch, das mit Blut beschrieben war. Was hat es mit diesem Euerem Buch auf sich? Selbst Euer Gemahl hat ausgesagt, Ihr verstecktet manchmal ein Buch, wenn er Euch überrascht.«
»Ich besitze kein solches Buch. Ich bin eine gläubige Frau.«
»Ihr seid
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