Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
mit dem Teufel bekennt und gegen all jene, die ihm huldigen, Zeugnis ablegt.«
Nachdem man sie weggeführt und das Versammlungshaus sich geleert hatte, nahm ich meinen Hut und meinen Umhang, um mich nach Hause zu begeben. Draußen vor der Tür stand Mr. Corey mit Alice Bonham, die mir fälschlich sagte, sie habe gesehen, dass Mrs. Putnam eigenhändig die eiserne Nadel in die Haube ihrer Tochter gesteckt habe, und erklärte mit aller Entschiedenheit die Unschuld der Beschuldigten. Auch Mr. Corey flehte um meine Fürsprache, doch die Stunde war vorgerückt, und ich musste für meinen Tee nach Hause eilen.
Als ich am Ende dieses Berichts angelangt war, schwieg ich und sah fragend zu Alice, ob sie mir ein Zeichen gebe, weiterzulesen. Sie stand in der Mitte des Badezimmers und hielt einen Waschlappen in der ausgestreckten Hand, sie zeigte, dass er aus gewöhnlichem Frottee bestand, flach wie eine Flunder, und keine geheimen Ecken oder verborgene Taschen hatte. Mit theatralischer Geste fasste sie den Stoff und stopfte ihn gänzlich in ihre geschlossene Faust. Durch eine wellige Bewegung deutete sie einen Hokuspo kus an und öffnete die Hand, wo der Stoff sich nun in der Form eines kleinen Zelts enthüllte. Vorsichtig hob sie es mit zwei Fingern an seiner Spitze an, und auf ihrer Handfläche saß ein kleiner gelber Vogel, der mit seinem winzigen Köpfchen nickte und die Flügel und Schwanzfedern spreizte. Als Alice diesen Vogel – eine Art Hausfink – in die Freiheit entließ, hüpfte er zum Wasserhahn des Waschbeckens. Alice schüttelte nun den Waschlappen, und ein weiterer Vogel kam aus seinen Falten zum Vorschein, als wäre er aus den Blütenblättern einer großen Blume geboren. Mit einer raschen, ruckartigen Bewegung hob sie die Arme, und aus ihren Ärmeln flogen zwei weitere Finken, von denen der eine sich auf dem Silberhaar des alten Mannes niederließ. Als sie sich jetzt mit einem Lächeln bückte, um den Saum ihres roten Kleids zu heben, flog ein ganzer Vogelschwarm, ein Dutzend oder mehr, darunter hervor, und der strahlend gelbe Glanz ihrer Federn erfüllte den Raum. Einer hockte auf der Stange des Duschvorhangs und fing an zu zwitschern. Zwei hingen am Klodeckel. Zwei weitere pickten am Zahnbürstenhalter. Alice streckte einen Arm, und die Vögel flatterten herbei, als würden sie von einem Duft oder Körnern angelockt, und tänzelten auf ihrem ganzen Arm herum, knabberten zart an ihren Fingernägeln und kosteten vom Salz ihrer Haut. Ohne jede Vorwarnung ließ Alice plötzlich den Arm sinken, und sie verschwanden auf ebenso geheimnisvolle Weise, wie sie gekommen waren. Meine Gefährten klatschten begeistert Beifall, doch ich war zu verblüfft, um mich zu rühren oder gar zu sprechen.
»Bist du also eine Hexe oder bloß eine Zauberin?«, fragte Dolly.
Alice sah sie finster an und hob für den Bruchteil einer Sekunde ihre rotbraunen Augenbrauen, ohne zu antworten, weder verneinend noch bejahend, und ließ nur Amüsement über diese Frage erkennen. Sie reichte Jane das nächste Dokumentenbündel.
Dorf Salem
10. Mai 1692
Geliebte Schwester,
Die Gefängnisse von Salem sind voll mit HEXEN .
Das halbe Dorf ist angeklagt, und die andere Hälfte muss besessen sein, oder zumindest hat es den Anschein. Mr. Bonham sagt, zusätzlich zu denen, von denen ich Dir geschrieben habe, säßen zwei weitere Dutzend im Gefängnis, und niemand bleibt verschont. Ein Bettlerkind, nicht älter als vier Jahre, ist das Jüngste, und unter den Ältesten sind Gevatterin Cory und Gevatterin Nurse, die Du bei Deinem letzten Besuch kennengelernt hast. Niemals habe ich gottesfürchtigere Christenfrauen kennengelernt. Die Besessenheit ist von jenen, welche die indianische Magd kannten, auf ehrenwerte, respektable Frauen übergesprungen. Mrs. Ann Putnam und ihr Töchterchen schwören gegen viele, und Mr. Thomas Putnam hat den Magistraten die rechtlichen Klagen übersandt.
Wir alle im Dorf schauen nun misstrauisch auf unsere Nachbarn und werden von unseren einstigen Freunden auf jede Verirrung hin genauestens beobachtet. Es ist, als lebte man in einem Haus aus Stroh und wartete auf einen Windstoß oder auf Flugasche, die das Ganze und alle niederbrennt. Ich habe große Angst. Was, wenn diese Mädchen mich benennen?
Sarah, ich kann mit Mr. Bonham nicht darüber sprechen oder ihm meine Geheimnisse offenbaren, denn wüsste er von meiner kürzlichen Spielerei mit diesen Mädchen, würde er mich schlagen oder zurück nach Hause schicken oder,
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