Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
gewöhnliche Brotrinde, die er zwischen den Fingern hielt, gerade als sein Mund sich öffnete, um den Happen zu verschlingen, schlug der Voodoo zu. Das Brot fiel M. LaChance aus der Hand. Seine andere Hand schoss in Panik hoch zu seiner Brust, ein Schraubstock drückte sein Herz zusammen. Quetschte und quetschte wie eine große Schlange. Der Druck. Seine blasse Haut flammte weinrot auf, seine Lippen zitterten, als wollten sie etwas sagen – adieu , vielleicht, und er starb, noch ehe sein Gesicht auf den Teller fiel. Er war viel zu fett, als dass ihn die Haussklaven hätten hochheben können; wir mussten drei weitere Männer herbeirufen, nur um ihn im Salon aufzubahren; der Leichenwagen brauchte zwei zusätzliche Pferde, um ihn wegzuschaffen; und nur Gott weiß, wie schwer der Stein war, der seinen Leichnam davon abhielt, in dem sumpfigen Boden von New Orleans zu versinken.«
Ein leiser Rülpser entrang sich meinen Lippen. Die Mädchen kicherten über mein ungebührliches Verhalten, und da es, um das Magendrücken zu lindern, keine andere passende Gelegenheit gibt, als wenn man ganz allein ist, erschien der Rülpser in diesem Augenblick besonders unhöflich. Ich konnte aber nicht anders. Mein Magen war aufgebläht, meine Glieder tonnenschwer. Ein rascher Blick in den Spiegel zeigte mir, dass ich Anzeichen von Pausbacken hatte und mein Gesicht im Ganzen aufgedunsen war. Wurde ich nun auch fett? Der alte Mann, mittlerweile unterhalb von Maries Knie, kündigte an, er wolle weiter lesen.
»Den ganzen Sommer bis in den Herbst hinein kehrten die Kinder nach Hause zurück, um ihre Ansprüche auf das Vermögen ihres verstorbenen Vaters anzumelden. Als Erste kamen die vier Töchter, die alle in der Nähe lebten, jede mit einem geckenhaften Ehemann am Arm, und jede verärgert über den armseligen Zustand, in dem der Besitz inzwischen war. Ihre Mutter, die Mistress, hatte nichts als Verachtung für ihre Mädchen übrig und sagte jedem der Stutzer, er solle gefälligst selbst sein Geld verdienen. Dann traf der Älteste ein, der den Namen des Vaters trug, und musste entdecken, dass ihm wenig hinterlassen worden war. Wir mussten ein neues Haus bauen, schrie ihn seine Mutter an. Hast du etwa gedacht, ich lebe auf der Straße? Vier Tage später verschwand ihr Sohn nach Argentinien. Zu guter Letzt fuhr Georges mit seiner jungen Braut in einer Kutsche aus Baton Rouge vor. Die arme Frau, sie hatte keine Ahnung, was für einen Mann sie geheiratet hatte. Ich hielt mich im Hintergrund, konnte ihr aber nicht aus dem Weg gehen, als sie in die Küche kam, wo sie meine Tochter und mich am Herd vorfand. Wer ist dieses entzückende Mädchen? Offenbar hatte ihr, die selbst kaum älter als ein Mädchen war, niemand je etwas von Georges’ schwarzem Bastard erzählt. Mit einem Grinsen über das Kompliment verneigte sich Clothilde. Ist sie deine Tochter?, fragte die Frau. Ist dein Mann einer von denen, die hier arbeiten? Gaston? Ich zog Clothilde an mich und hielt ihr von hinten die Ohren zu. Ich bin nicht verheiratet, sagte ich. Ihr Vater ist ein Buckra. Sie nahm für einen Augenblick die Hand meiner Kleinen in ihre und entschuldigte sich dann. Georges selber weigerte sich, seine Tochter auch nur anzusehen oder mit mir ein Wort zu reden. Er war nur hier, um seine verwitwete Mutter zu umschmeicheln, die davon jedoch nichts wissen wollte. Beim Abendessen an diesem letzten Abend sagte Madame ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter: Es ist nichts mehr da. Ich habe kaum genug Geld, um meine eigenen Rechnungen zu bezahlen. Ich stand mit einer Schüssel Reis in der Hand gegenüber von Madame, während sie wie in Trance sprach. Dein Vater hat alles verfressen, sagte sie. Wie ein Schwein, jeden Fitzel.
Am nächsten Tag, nachdem sie abgereist waren, rief mich Madame in den Salon. Marie, wie lange schon bist du in meinen Diensten? Fast dreißig Jahre, Madame. Und dein Mädchen ist nun beinahe acht, nicht wahr? Ich nickte. Bis zu dieser Woche, sagte sie, ist mir nie aufgefallen, wie sehr Clothilde ihrem Vater ähnelt.
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, denn nie zuvor hatte es ein Eingeständnis des Gebarens ihres Sohnes mir gegenüber gegeben, obwohl ich mir sehr sicher war, dass sie bereits in meiner Schwangerschaft davon wusste, und sie immer dazu geschwiegen hatte. Über die Angelegenheit zu reden, hätte für sie wie auch für mich nur Schande bedeutet. Mein Mann, sagte sie, hat dich sehr schlecht behandelt, Marie, und mein Sohn ebenso. Beide
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