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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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Matratze und auf seinem hingestreckten Kör per herum, bis er sich wehrte und mit Klein-Zach und -Jeb rang, als wäre er selbst wieder ein Kind. »Komm schon, Pa.« Jeb schlug ihn mit seinem hölzernen Schwert. »Du kannst Johnny Reb sein, und ich bin General Tecumseh Sherman und führ dich ab nach Atlanta.« Der Vater brüllte die Jungen an und jagte ihnen in seinem Nachthemd hinterher, nur oben auf dem Treppenabsatz musste er stehen bleiben, um zu Atem zu kommen.
    Nach dem Abendessen, diesmal mit der ganzen Familie, bei dem Jamie aufgeheitert wirkte und seine alte Kraft wiedergefunden zu haben schien, ging er die Treppe hinauf zu dem Zimmer mit dem Spalt unter dem Dach. Er saß ganz still in einem Sessel und betrachtete die ziehenden Sterne, ohne groß an den Gesprächen der anderen teilzunehmen, er ignorierte sie aber auch nicht. Jessie las den anderen Hawthorne vor, und Ebenezer und Flo sprachen über die Schäden in der Stadt, die das Erdbeben angerichtet hatte. Und Jams saß einfach nur da und tat nichts, und dieses Verhalten wiederholte sich viele Abende hintereinander – bis zum Vorabend des 1. November –, bis zum Abendessen tat er wenig und zog sich dann zurück, um die Sterne zu beobachten, oder falls keine Sterne am Himmel standen, um in die Wolken oder in den Regen zu starren, und ein-, zweimal, als der Nebel durch den Riss hereinzog, ließ er sich, den Sessel und den ganzen Raum einhüllen, als befänden sie sich in einem Traum. Mit diesem zur Gewohnheit gewordene Verhalten verbrachte er seine Zeit, als wäre er ein Müßiggänger und nicht der kurz vor dem Ruin stehende Hausherr. Wenn ihn sein Bruder fragte, ob er mit zu einem Pokerspiel gehe, mexikanische Schlagersänger hören oder die Zauberer von Siam sehen wolle, die in den Höllen auftraten, wehrte Jamie ab. »Nicht heute Nacht, aber geh du und sag den Jungs einen Gruß. Ich glaube, ich werde mich ein wenig hinlegen.« Und so geschah es Nacht für Nacht, Tag für Tag.
    Jeden Morgen, wenn er weit nach den Kindern, die schon zur Schule oder zu ihren neuen Jobs geschickt worden waren, und viel später als sein fauler Bruder aufstand, streifte Jamie seinen seidenen Morgenmantel über und kam zu einer Zeit zum Frühstück herunter, zu der der Großteil Kaliforniens schon nach dem Mittagessen maulte. Da er inzwischen lesen gelernt hatte, griff er anschließend zur Zeitung, für gewöhnlich zum morgendlichen Examiner oder, wenn der Dampfer gekommen war, zu zwei Wochen Dickens’ Fortsetzungsroman in den New Yorker Zeitungen, trotz jener »Aufzeichnungen aus Amerika« dieses Halunken; das Lesen beschäftigte Jamies Geist und Seele für einige Stunden. Wenn die Ältesten wieder zur Tür hereinkamen – John C. von seinem Job als Druckerlehrling und Jessie von ihrer Anstellung in einem Geschäft für Bänder auf der Union Street –, zog er sich gerade an. Manchmal führten er und der Junge ein Gespräch auf der vorderen Veranda, und Jessie hatte von einem ihrer Beaus einen kleinen Hund geschenkt bekommen, den ihr Vater hütete und mit dem er stundenlang spielte. Einige Male pro Woche ging Eben aus und ließ ihn allein im Haus, und wahrscheinlich schlief Jamie dann vor dem Kamin ein oder betrachtete die Sterne durch den Spalt. Er war erst sechsunddreißig Jahre alt, hatte aber die Gewohnheiten eines doppelt so alten Menschen angenommen.
    Und die Lage spitzte sich zu. Mit dem geringen Verdienst der Kinder und dem Nichts ihres Manns kämpfte Flo, um die nackten Ausgaben zu bestreiten. Stück für Stück verkauften sie ihre ganze Habe. Keine Kutsche, kein Pferd, kein Bedarf. Das Silberservice von Ebens und Rebeccas Hochzeit brachte genügend ein, um den Haushalt acht Monate lang zu finanzieren. Gold- und Silberschmuck aus ihren Schürfertagen gingen ins Pfandhaus oder an Freunde, die aus verstohlener Nächstenliebe bereitwillig zu viel bezahlten. Neuanschaffungen gab es nicht mehr. Seine Hemden begannen allmählich an den Ärmeln auszufransen, und die Kragen verwahrte er für die seltenen Gelegenheiten, zu denen er sich in die Stadt wagte. Flos Kleider gerieten außer Mode und dann, dank ihrer Nähkünste, wieder hinein. Die Kinder trugen ihre Stiefel und Schuhe, bis sie völlig abgelaufen waren, und die Zwillinge waren auf Abgetragenes und Zu-klein-Gewordenes ihrer älteren Ge schwister angewiesen und hatten ehemalig Neues von ’65 an. Zum Glück lebten sie in einem perfekten Klima, wo die Temperaturen das ganze Jahr hindurch mild waren, denn Jeb und Zach

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