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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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Wohle der beiden gerade so viel hinterlassen, dass es, wenn sie sorgsam damit umgingen, ausreichte. Und im Großen und Ganzen hätschelten sie ihr kleines Vermögen gut, auch wenn Eben einen gehörigen Teil durch Spiel und Verschwendung sinnlos verprasste. Und als er dann an einem Tag des Jahres 1881 zu knapp vor einem Cable Car, der die Clay Street hinunterrauschte, die Straße überquerte, verlor er alles. Er starb im Krankenhaus an seinen Verletzungen und ließ Flo ganz allein in dem baufälligen Haus zurück.
    Wie die dem Odysseus treue Penelope wartete sie darauf, dass Jamie nach Hause kam. Über die Jahre hinweg hatten die häufigen Erdbeben den Spalt in der Wand derart vergrößert, dass sie sich, wenn sie den Raum betrat, nicht mehr sicher fühlte, doch seine Gegenwart klang hier nach, in den Vertiefungen der Sitzfläche des Sessels, im Abdruck seines Körpers in den Sofakissen, und dazu das Bild des Universums, das er so gerne betrachtet hatte. Regen und Feuchtigkeit hatten zu Schimmel geführt, der sich die Wand hinunter bis in das darunter liegende Zimmer zog, die Teppiche und Möbel waren ständig klamm und gingen entzwei. Der Ofen ließ sich kaum mehr anzünden. Nägel ragten aus den Bodendielen, in denen sich, wenn sie durch das Zimmer ging, ihre Pantoffeln verfingen. Sie schlief allein, und wann immer das Haus ächzte, fürchtete sie, ein weiteres Erdbeben kündige sich an, oder er komme zurück. Mäuse hatten sich hinter dem Verputz eingerichtet, und tief in der Nacht hörte sie ihr Kommen und Gehen, Möwen hatten die südwestliche Außenmauern für sich erobert und hinterließen dort Kotstreifen. Vierzig Jahre waren vergangen, seit sie gemeinsam aus Kentucky aufgebrochen waren, und ein Dutzend, seit er sie plötzlich verlassen hatte, um sich auszuruhen. Wäre er durch die Tür gekommen, hätte sie ihn beschimpft und geschlagen, weil er sie allein gelassen hatte, und ihn dann in die Arme geschlossen.
    Als bereits alle Hoffnung verloren war, stand eines Sonntagnachmittags ein Chinese vor der Tür. Seit dem Exclusion- Gesetz im Jahre ’83 sah man nur noch selten Chinesen, denn aus Angst vor den Weißen blieben sie weitestgehend unter sich. Der junge Mann auf dem Treppenabsatz vor dem Eingang verunsicherte sie. Sie sprach kein Wort Chinesisch und er nur wenig Englisch, obwohl er eine Nachricht zu überbringen hatte.
    »Mister«, sagte er. »Mister in Bett.«
    »Hier gibt es keinen Mister. Ich lebe allein.«
    »Nein. Mister-in-Bett nicht mehr. Ganz weg.«
    »Was hat das mit mir zu tun?«
    »Dein Mister. Ganz weg.« Er reichte ihr ein an sie adressiertes Paket. » Nee dohng mah ?« Er hob die Augenbrauen, als versuchte er dadurch, die Verständigung zu befördern.
    Sie erfasste den Sinn seiner Worte nicht, nur dass er das Paket an die richtige Adresse, so wie sie auf dem braunen Packpapier stand, geliefert hatte. »Vielen Dank«, sagte sie. »Warten Sie hier, ich hole schnell ein Trinkgeld für Ihre Bemühungen.«
    Als sie wieder an die Tür kam, war der Junge fort.
    Mit großer Behutsamkeit öffnete sie das Paket. Zwischen rotem Seidenpapier lagen einige persönliche Dinge, die sie sofort als die ihres Mannes erkannte. Eine silberne Taschenuhr mit der Gravur »Virginia, Nevada«, die er von seiner Reise mitgebracht hatte. Ein Schildpattkamm, den Flo ihm zu seinem dreißigsten Geburtstag geschenkt hatte. Ein Rasiermesser mit Elfenbeingriff. Eine lederne Brieftasche, in der sie neunundvierzig Dollar fand und eine Visitenkarte mit einer Fotografie der Familie, wahrscheinlich vor dem Silberdesaster aufgenommen, auf deren Rückseite der Familienname und die Adresse des Oktogonhauses standen. Im Geheimfach steckte ein vergilbter Ausschnitt aus einer alten Zeitung, ein kurzer Artikel über den Diebstahl einer roten Lackschatulle voller Bargeld, deren Besitzer, ein vermögender China-Importeur namens Lee, seit Langem in der Stadt ansässig war und anfangs in den glorreichen Zeiten auf den kalifornischen Goldfeldern gearbeitet hatte.
    Diesen Habseligkeiten beigefügt war ein Brief:
    Bitte vergeben Sie mein Englisch.
    Ich gebe zurück diese wenigen Dinge von meinem Mieter, Mr. James Worth, der diese Welt einigen Monaten zuvor friedlich verlassen hat. Er war ein idealer Mann und machte nie Probleme. Obwohl er gesund und munter war, muss er andererseits gelitten haben, denn niemand konnte sich mehr am Bett erfreuen und mehr schlafen als unser Mr. Worth. Ich weiß nicht, ob er Familie hinterlässt, aber guten

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