Sommernachtsschrei
mir herüber. »Tut mir echt leid, aber ich wollte dich nicht beunruhigen. Ehrlich, deine Idee, hier ausgerechnet zur Sommerparty wieder aufzukreuzen, Ziska… also… Aber, sollen wir zur Polizei, es melden? Ich kann schließlich bezeugen, dass Claude dir gedroht hat. Vielleicht kriegst du Personenschutz oder…«
»Was redest du da? Nur weil einer so was gesagt hat? Das ist lächerlich!«, kann ich mir den letzten Kommentar nicht verkneifen.
»Mann, du bist ja ganz schön cool geworden, Ziska!«
Ob sie es anerkennend meint oder ob sie mich einfach nur unvernünftig findet, weiß ich nicht.
»Ich habe mich die ganze Zeit versteckt, Leonie! Aber da hab ich keine Lust mehr drauf. Ich habe keine Angst!« Das stimmt so zwar nicht ganz, aber wenn ich wütend bin, habe ich tatsächlich keine Angst mehr. Eine wichtige Erkenntnis. Wenn ich wütend bin, schrecke ich offensichtlich vor nichts zurück.
»Schon gut, Ziska.« Leonie legt mir beruhigend eine Hand auf den Arm, zieht sie dann aber wieder weg, weil sie blinken muss. »Verstanden. Es ist einfach eine… fatale Situation.«
Fatal heißt tödlich. Ich kann ihr nicht widersprechen.
»He, was hältst du von einem Eis?« Leonie fährt in die Bushaltebucht kurz hinter dem Venezia, dessen blaue Markise zu Kindings Hauptstraße gehört wie der Chiemsee.
Das Eiskaffee Venezia betreibt die Familie von Vivians Exfreund Jonas. Die Familie besitzt eine ganze Kette, das größte Café ist in München auf der Leopoldstraße. Früher – na ja, im letzten Jahr noch – brachte Vivian uns zu den Proben immer Eis mit.
Draußen sind alle Tische besetzt, obwohl auf dem Bürgersteig noch die Pfützen vom letzten Regen stehen.
»Pistazie und Malaga?«, fragt Leonie grinsend.
Ich nicke.
»Immer noch genauso altmodisch«, lacht sie und stellt das Warnblinklicht an.
Als ich aussteige, legt er sich wieder über mich, der dunkle Schatten, und ich höre, wie eine Stimme zu mir sagt: Pass auf, am besten verschwindest du sofort. Jeder weiß, was du getan hast.
»Was ist, Ziska?« Leonie dreht sich am Eingang nach mir um.
Ich schlucke, hebe das Kinn, schüttle den imaginären dunklen Schatten von mir ab, nehme mir vor, die Blicke der Leute zu ignorieren, und gehe geradewegs zwischen den Tischen hindurch zum Eingang.
»Alles in Ordnung?«, fragt Leonie.
Ich nicke und merke, wie ich schwitze, dabei ist es gar nicht so warm. »Fühlt sich schon ein bisschen komisch an. Als würden mich alle anglotzen.«
»Ach, das bildest du dir ein. Dich hat keiner angeguckt. Keiner kennt dich. Das sind sowieso alles Touristen.«
Ich will ihr glauben, aber so ganz funktioniert es noch nicht.
»Jetzt komm schon!«, sagt sie und ich folge ihr.
Den gläsernen Tresen mit den siebenundzwanzig verschiedenen Behältern, alle gefüllt mit cremig buntem Eis, habe ich mir oft vorgestellt, wenn ich nicht einschlafen konnte, weil meine ganze Welt nur aus grauem Beton bestand. Die buntesten Eisbecher hab ich mir in Gedanken zusammengestellt, mit noch bunteren Soßen und riesengroßen schneeweißen, duftigen Sahnehauben obendrauf.
Als ich den Blick von den Eisbehältern hebe, sehe ich, wie sie mich anstarrt. Ihr blondes Haar zu zwei Zöpfen geflochten, den Kragen des hellblauen Polos mit Venezia- Schriftzug steif hochgestellt, als wäre er Teil einer Rüstung. Ihre Blicke Speere und der metallene Eisportionierer in ihrer Hand ein fieses mittelalterliches Folterwerkzeug. Sophie Obermann war die Beste in Französisch in meiner Klasse gewesen.
»Sie geht mit Vivians Exfreund«, raunt mir Leonie noch zu und sagt dann fröhlich: »Hi, Sophie! Ich dachte, du jobbst hier nur am Wochenende.«
Sophie zeigt keinerlei Regung, als hätte man ihr den Strom abgestellt.
Das nimmt jetzt auch Leonie wahr, sieht mich an und begreift, dass ich das Objekt des Anstoßes bin, denn außer uns beiden ist niemand hier drinnen.
»Für mich Malaga und Pistazie«, bringe ich tatsächlich ziemlich cool heraus.
Sophies blasses Gesicht verfärbt sich fleckig rosa. Für einen Moment ist es völlig still, obwohl gerade noch auf der Straße ein Hund gebellt hat und ein Motorrad vorbeigefahren ist. Dann rammt sie den Eisportionierer in den Wasserbehälter und stemmt die Arme in die Hüften. »Verpiss dich, Franziska!«, presst sie hervor und ihre Lippen beben dabei. »Verschwinde und wag dich bloß nicht mehr hierher!« Ihr schneidender Blick trifft auch Leonie.
»Reg dich mal ab, Sophie!«, sagt Leonie und rückt so nah zu mir, dass
Weitere Kostenlose Bücher