Sommernachtszauber (German Edition)
ging. Sie drehte sich zu ihr um. »Bist du denn in der Maske fertig?«, fragte sie erstaunt.
»Nein. Aber ich will dir was zeigen, Caroline.«
»Was denn?«
Mia lehnte sich mit einem kleinen Lächeln an die Wand und zeigte nach oben. Dorthin, wo das Geisterlicht geleuchtet hatte. Caroline gefror das Blut in den Adern: Der Lampenschirm aus Glas war zerschlagen, ebenso die Fassung. Auf dem Boden lagen die Splitter der Glühbirne.
Alles in Caroline sank in eine bodenlose Tiefe und brach unter dem Gewicht des Begreifens zusammen: Es brannte nicht und würde vielleicht nie wieder brennen. Johannes!
»Alles klar, Caroline?«, fragte Mia gefährlich ruhig. »Was ist los? Soll die kleine Mia wieder husch, husch in die Maske, damit Caroline ganz allein glänzen kann? Hast du dazu auch genug Licht, mein kleines Sternchen? Wirft auch niemand Schatten auf dich? Nein, Caroline will ja alles für sich allein. Die Rollen, die Männer und die Zukunft. Aber da hast du dich geschnitten!« Mia spuckte die Worte geradezu aus.
Caroline sah sie entsetzt an. Sie schüttelte stumm den Kopf, denn die Stimme versagte ihr. Das konnte nicht sein. Nicht Mia. Nicht ihre Freundin.
»Nein, Mia, das kann nicht wahr sein«, krächzte sie dann.
»Und weshalb nicht? Weil alle fein stillhalten sollen, während du dir nur nimmst und nimmst und nimmst und nicht einmal darüber nachdenkst, wie sich andere dabei fühlen? Jetzt, Caroline, habe
ich dir
etwas genommen!« Mia spuckte die Worte triumphierend aus.
»Aber du bist doch meine Freundin!«
Mia sah sie nur ausdruckslos an. Dann fauchte sie: »So kann man sich täuschen. Jetzt geh und spiel – wenn du kannst. Du bist eine Märtyrerin da draußen, Caroline. Die Löwin wartet, um dich bei lebendigem Leib zu zerreißen. Mickey Hansen ist bereit für dich, dafür habe ich gesorgt. Und dein Johannes wird dir so schnell nicht mehr beistehen.«
»Du!«, keuchte Caroline auf, bereit, Mia an den Hals zu gehen, doch da kam Carlos gelaufen. Rote Flecken brannten auf seinen Wangen und Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn. Hinter seinen dicken Brillengläsern wirkten seine Augen vor Aufregung beinahe schwarz. Er war außer Atem.
»Caroline, komm. Es geht los! Auf Position.« Carlos fasste ihren Kopf und drückte ihr einen hastigen Kuss auf die Stirn. »Du schaffst es.
Toi, toi, toi.«
Dann wirbelte er weiter, gab mit halblauter Stimme Kommandos, schubste Techniker in Position und zupfte noch eilig an Kostümen. Caroline hörte draußen auf der Bühne den Markttag von Verona beginnen. Der Prolog war vorbei.
Erster Aufzug, erste Szene: Ein öffentlicher Platz.
Mia ließ sie nicht aus den Augen, doch Caroline war übel und sie musste sich gegen die Kulissen lehnen, sonst wäre sie in Ohnmacht gefallen. Johannes. In ihr breitete sich ein ungeahnter Schmerz aus. Schmerz und Wut auf Mia. Wut und Unverständnis. Zu mehr war keine Zeit.
Sie zwang sich, nach vorn zu sehen. Ihre Gefühle Mia gegenüber schadeten ihr jetzt nur und beeinträchtigten ihr Spiel. Julia hatte vieles, aber keine rachsüchtige Freundin. Carolines Finger zitterten, als sie sich an das Holz der Schiebewände klammerte. Sie schloss kurz die Augen und zwang sich mit aller Kraft, sich auf die Bühne und das Publikum dahinter zu konzentrieren. Das Haus war voll besetzt.
Full house.
War es nicht das gewesen, was sie gewollt hatten? Alle waren da, nur einer nicht. Würde er je wieder da sein? Ihr stockte das Herz, und sie dachte an seine Worte, an jenem Abend, als sie sich gestritten hatten.
»Je mehr ich an dich denke, je mehr ich für dich tue, umso näher komme ich dem Tod. Je mehr wir einander lieb gewinnen, umso schneller verlieren wir einander.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Der Markttag in Verona verschwamm vor ihrem Blick. Sie hörte die Worte, die sie auswendig kannte, und hörte sie doch nicht. Wie sollte sie das schaffen?
Gleich war es Zeit für die dritte Szene im ersten Aufzug, bei der sie zum ersten Mal auf die Bühne musste. Ihre Glieder waren kalt und schwer und in ihrem Inneren fühlte sie sich so erloschen wie das zerschlagene Geisterlicht. Mia hatte Johannes gebannt. Weshalb? Ihre Augen waren feucht und sie biss sich auf den Handrücken. Es war, wie es war – schrecklich. Etwas schlug seine Krallen in ihr Herz und nagte daran.
In diesem Augenblick hörte sie Ben als Romeo rufen:
»Gut, ich begleite dich. Nicht um des Schauspiels Freuden;
an meiner Göttin Glanz will ich allein mich weiden!«
Dritte
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