Sommernachtszauber (German Edition)
Buckel, aber sie hielt sich aufrecht. Judith hatte sich wie ein Menuett bewegt. Caroline hier ging wie eine Jazzmelodie. In der Schwingtür hin zum Foyer drehte sie sich noch einmal um und sah zur Bühne.
Die Mischung aus Mutlosigkeit und Hoffnung in ihrem Blick schnitt ihm ins Herz. Es schien wirklich, als hätte diese Mia alle Karten in der Hand, obwohl ihre Darbietung völlig überdreht gewesen war.
Er folgte Caroline bis ins Foyer und an die zweiten Schwingtüren zum Eingang, wo ihre Hand fast die seine am Griff berührte. Er schreckte zurück, denn sein Bereich endete hier. Der Bann des Geisterlichts galt nur innerhalb des Theaters und auch noch oben auf dem Dach, seinem Aussichtspunkt. Weiter konnte er nicht.
Bleib doch noch ein wenig , wollte er sagen, doch blieb stumm, als er hilflos seine Stirn gegen das gravierte Glas presste und ihr nachsah. Ehe sich die Doppelflügel der Tür schlossen, erhaschte er einen letzten Blick auf sie, wie sie mit hochgezogenen Schultern in den warmen, sonnigen Nachmittag davonging. Carlos, Ben und Simone schlenderten nun an ihm vorbei. Die Tür öffnete sich wieder, doch Johannes spürte keinen Luftzug. Dann fiel sie schwer ins Schloss. Gleich darauf hörte Johannes die bekannten Töne der Mundharmonika erklingen. Wenn der Penner da draußen doch nicht so grottenschlecht spielte!
Er war wieder allein und starrte den verwaisten Eingang an. Die schwere Tür hatte sich wieder vor ihm und seinem Dasein verschlossen. Wie lange noch, fragte er sich. Verdammt noch mal, wie lange noch? Nach den aufregenden Ereignissen des Tages lasteten die Stille und seine Einsamkeit doppelt schwer auf ihm. Weshalb hast du mir das angetan, Judith? Weshalb hast du uns das angetan? Ihr gemeinsames Sterben war kein liebendes oder romantisches gewesen. Es war keine gemeinsame letzte Flucht aus einer ausweglosen Situation, sondern ein Racheakt an ihm gewesen. Nach Georgs Worten über die Pläne seiner Partei bestand für Johannes kein Zweifel, dass Judith ein Schicksal schlimmer als der Tod gedroht hätte. Ihm schauerte.
Judenbude! Fahrt zum Teufel! , hatte die Fratze geschrien, als sie die Fackel in das Theater geworfen hatte. Judith hatte sich diesem Schicksal entzogen. Was war mit ihrer Familie geschehen? Er fragte sich das nicht zum ersten Mal. »Ich bleibe, denn ich glaube an das Gute im Menschen«, hatte Ezra Goldmann gesagt, als viele seiner Freunde bereits 1933 die Koffer packten.
Johannes verharrte erstaunt, als die Erkenntnis ihn traf: Trotz allem und nach all der Zeit tat auch er das – an das Gute im Menschen glauben. Langsam ging er in den nun leeren Zuschauersaal zurück, wo verwaist die drei Klappstühle standen. Er stieg auf die Bühne und blieb in der Mitte kurz stehen. Dann ballte er eine Faust und biss in seine Knöchel. Er schmeckte kein Blut, so sehr er sich auch danach sehnte. Er war stark. Stark, bis er an dieser Stärke zerbrach. War es immer gewesen, würde es immer sein, sagte er sich. Das ließ er sich von niemandem nehmen, auch von der Ewigkeit nicht.
Der Kies knirschte unter den Rädern von Mias Fiat 500, als sie vor der Villa am See parkte. Die Abendsonne gab der blass kaisergelben Fassade einen warmen Schimmer. Mia fand die Farbe langweilig. Konnte man das Haus nicht rot streichen? Oder lila? Oder Hello-Kitty -pink?
Look – at – me! Das war ihre Devise. Sie stieg aus und fröstelte in ihrem Rippenleibchen und dem Jeansmini. Aber umziehen wollte sie sich nicht, denn sie wusste, dass der Aufzug ihre Mutter garantiert aufregen würde. Wenigstens irgendeine Reaktion von ihr.
Vielleicht würde sie es sogar zu diesem nervigen Abendessen tragen. Dann hatten die versammelten alten Knacker, an denen es ihre Eltern bei keiner Einladung fehlen ließen – der Himmel wusste, in welchem Altenheim sie immer angeblich so furchtbar wichtige Filmleute ausgruben! –, wenigstens was zum Glotzen.
Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und ihr Dackel Gigi hüpfte an ihr hoch. Mia nahm ihn auf den Arm und sprang auf dem schwarz-weiß gekachelten Boden von einer Fliese zur anderen. Als ihr Großvater noch lebte, hatte er ihr hier mit riesigen Figuren das Schachspiel beigebracht. Als er starb, warf ihre Mutter die Figuren trotz Mias Tränen auf den Sperrmüll.
Sie ging ins Wohnzimmer, wo frische Blumen in den Vasen standen und Whiskey- und Cognacflaschen neben blank polierten Gläsern auf dem Kaminsims warteten. Die Kissen auf den großen, mutig gemusterten Designer-Sofas waren
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