Sommernachtszauber (German Edition)
aufgeschüttelt und die wandhohen Fenster zur Terrasse geöffnet.
Mia trat kurz hinaus. Es roch nach frisch gemähtem Gras und zwischen den Baumkronen glitzerte der See vor dem Anlegesteg. Auf dem Wasser drehten die letzten Ausflugsboote ihre Kreise. Vom Kladower Forum drang Musik bis zu ihnen in den Garten – klang nach einer gewagten Mischung, ein finnisches Tango-Orchester vielleicht! Doch auch hier war niemand zu sehen. Also ging sie ins Esszimmer, wo der Tisch bereits für fünf Leute gedeckt war. Mia befingerte kurz eine der kunstvoll gefalteten Servietten.
»Hm. Großer Bahnhof, Gigi. Deinen Teller haben sie wieder mal vergessen, meine Prinzessin. Aber ich gebe dir was ab«, sagte Mia und küsste den Hund auf die Schnauze. In der Küche klapperten Töpfe und Mia ging durch die Verbindungstür in den hellen, freundlichen Raum.
»Hallo, Anna«, sagte sie zu der polnischen Haushälterin und schmatzte ihr einen Kuss auf die Wange. »Was gibt’s denn heute Gutes?«
»Erst Flusskrebse und dann Ossobuco. Als Nachspeise habe ich Sorbet gemacht.«
Mia verzog das Gesicht. »Ich esse doch kein Fleisch.«
»Keine Sorge, ich mache dir was Leckeres. Wie wäre es mit einem knackigen Salat? Soll ich dir einen Haloumi-Käse dazu grillen?«
»Gute Idee, danke. Ist meine Mutter da?«
»Ja«, sagte Anna kurz. Mia seufzte. Vor diesen Einladungen war ihre Mutter immer angespannt und ließ alles an Anna aus. Dabei würde der Familie Weiss ohne sie das gesamte Leben um die Ohren fliegen! Anna hatte auf Mia schon als Kleinkind aufgepasst, ihr Borschtsch und Pflaumenknödel gekocht und ihr Geschichten aus ihrer eigenen Heimat erzählt, in denen Mädchen goldene Zöpfe bis zu den Knöcheln hatten, junge Männer sieben Jahre auf dem Ofen schliefen und Häuser auf drei Beinen sich mit der Sonne drehten.
»Ich sehe mal nach ihr. Gigi kann ja bei dir bleiben. Mama mag sie nicht in ihrem Schlafzimmer haben.«
Mia füllte Gigis Napf mit frischem Wasser und ging in den ersten Stock.
»Herein«, murmelte ihre Mutter, als Mia an die Tür klopfte.
»Hallo, Mama.« Mia schlüpfte in das Schlafzimmer, dessen Halbdämmer sie überraschte. Was war denn los? Hatte ihre Mutter wieder Migräne? Dann ertrug sie weder Licht noch Lärm. Ihre Mutter lag auf dem Bett, doch wo ihr Gesicht sein sollte, sah Mia nur eine grüne Tüte.
»Was hast du denn auf dem Gesicht?«, fragte sie entsetzt.
»Ein Paket gefrorene Erbsen«, sagte ihre Mutter lakonisch.
»Und warum das? Müssen sie im Eiltempo auftauen? Gibt’s die als Beilage?«
»Nein. Aber Dr. Wiest hatte nur heute einen Termin für mich frei. Ich will, dass die Einstiche abschwellen.«
»Was für Einstiche denn?«
»Füller in meine Nasolabialfalten.«
»In deine was ?« Mia setzte sich an den Bettrand. »Mama. Das hast du überhaupt nicht nötig. Du siehst toll aus.«
Katharina Hagendorf zupfte an ihrem türkisfarbenen La-Perla -Negligé und wackelte mit den frisch knallrot lackierten Zehen. »Das sagst du . Aber du hast ja noch keine Ahnung, wie das ist. An dir ist alles jung und schön. Ich bin nur noch und .«
»Quatsch!«
»Warte mal, bis du in meinem Alter bist und dir die jungen Dinger an die Hacken schnappen.«
»Ich werde mir nie irgendwas ins Gesicht spritzen lassen!«, sagte Mia im Brustton der Überzeugung.
»Aber den Busen hast du dir letztes Jahr schon vergrößern lassen, oder? In deinem Alter noch dazu!«
»Das ist was anderes. Ich hab eben nicht so ein tolles Dekolleté wie du. Bei mir sah das aus wie zwei Nägel auf einem Brett. Jetzt mag ich meinen Busen.«
Ihre Mutter hob die Erbsentüte an und musterte sie mit einem Auge.
»Ach ja? Musst du ihn deshalb so herumzeigen? Bei dir sieht man ja unten und oben alles.«
Die Kritik ihrer Mutter traf Mia, obwohl sie mit ihr gerechnet hatte.
»Wer kommt denn heute Abend?«, fragte sie, um abzulenken. »Und muss ich wirklich mit dabei sein?«
»Also bitte! Wir geben das Essen für dich . Wir haben den Agenten Karl Graf und seine Freundin Michaela Hansen eingeladen. Er hat jedes bedeutende junge Talent unter Vertrag. Und sie schreibt Theaterkritiken von der BILD bis zum Tagesanzeiger . Da draußen herrscht freie Wildbahn, Mia. Wenn die beiden auf deiner Seite sind, musst du dir erst mal keine Sorgen machen.«
»Du solltest Machiavelli und nicht Mama heißen.«
»Kontakte schaden nur dem, der sie nicht hat.«
»Also gut. Wird schon nicht so schlimm werden. Vielleicht kann ich danach noch ausgehen?«
Ihre Mutter
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