Sommernachtszauber (German Edition)
»Da bin ich mir sicher. Carlos muss noch viel lernen. Zum Beispiel, wen man sich zum Feind machen darf und wen nicht. Niemand muss mich am Sonntagabend um acht anrufen und mich ein aufgescheuchtes, frigides Huhn mit dem Intellekt einer in den Kuhfladen gefallenen Feldmaus nennen.«
Mia biss sich auf die Lippen. Das war von Carlos wirklich nicht sehr diplomatisch gewesen. Aber mutig. Und lustig.
»Er ist ein Genie, mit allen Tücken. An solchen Menschen scheiden sich leicht die Geister«, sagte Rix.
»Übermut und Ungestüm sind ein Vorrecht der Jugend«, sagte Mias Mutter. »Carlos ist hochbegabt, aber auch sehr launisch und ein Choleriker noch dazu. Ich habe ihn am Dreh als Assistent ein paarmal überreagieren sehen, als der Regisseur seine Vorschläge nicht annehmen wollte. Angeblich will er zur Premiere eine große Wohltätigkeitsgala im Bimah organisieren, um das Geld für die Renovierung und den Betrieb des Hauses einzutreiben.«
»Gehört das Haus denn der Stadt?«, fragte Karl, der sich nun neben Mickey entspannt in die Kissen lehnte. Sie sahen schön aus als Paar, entschied Mia. Aus irgendeinem Grund gab ihr das einen kleinen Stich. Diese Mickey hatte wirklich alles, oder? Kein Wunder – eine Frau wie sie.
»Heute ja. Früher war es in jüdischem Eigentum, aber niemand aus der Familie hat überlebt.«
Im Wohnzimmer herrschte kurz betretenes Schweigen, bis Rix sich räusperte und Mia sagte: »So mag das mit vielen Immobilien in Berlin sein, oder? Nach der Enteignung der Juden ist vieles unrechtmäßig in andere Hände gelangt.« Sie wollte nicht nur stumm dabeisitzen. Schließlich hieß es zu zeigen, dass sie kein Kind mehr war.
»Stimmt, Mia. Beutekunst. Seit wann ist denn dieses Haus eigentlich im Besitz Ihrer Familie? Ich glaube, das ist das schönste, das ich in Berlin je gesehen habe«, sagte Mickey.
Rix Weiss lächelte geschmeichelt. »Das ist ganz allein der Verdienst meiner Frau.«
Und einer Heerschar von Innenarchitekten und Designern, dachte Mia. Ihr Vater sprach weiter: »Mein Großvater Friedrich Weiss hat das Haus nach seinen ersten Erfolgen beim Film gekauft.«
»Hm. Hat Ihr Großvater eigentlich unter der Ächtung seiner frühen Werke gelitten? Viele stellen ihn ja auf eine Stufe mit Leni Riefenstahl, die ebenfalls auf der Welle des Nationalsozialismus schwamm, um sich in ihrer Kunst zu verwirklichen. Wie stand er später zu seiner Verbindung zum Dritten Reich?«, bohrte Mickey weiter.
Rix Weiss sah sie überrascht an. »Er hat wenig darüber geredet, wie die meisten seiner Generation. Ich hätte mir nie erlaubt, ihn darauf anzusprechen. Er hat sicher von dem Übel nichts gewusst. Er war Künstler und wollte schaffen.«
»Klingt ganz nach Mephisto von Klaus Mann …«
»Mickey, bitte! Wer was gewusst hat, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Im Zweifel für den Angeklagten, vergiss das nicht«, mahnte Karl seine Freundin, doch Rix Weiss leerte seinen Wodka Tonic mit einem Zug.
»Keine Sorge. Ich habe keine Angst vor Konfrontation. Und niemand kann für die Vergehen oder die Unterlassungen seiner Vorväter verantwortlich gemacht werden.«
Mia warf ein: »Und: Was hätten wir selber in dieser Lage getan? Ist zu einem bestimmten Preis nicht jeder käuflich?«
Karl sah sie nachdenklich an und Mickey wiegte den Kopf, ehe sie zugab: »Ein unangenehmer Gedanke …«
Mias Vater lächelte kurz. »Unangenehmes soll heute außen vor bleiben. Lassen Sie uns zu Tisch gehen.«
Mia reckte den Hals. »Ich glaube, Anna hat die Flusskrebse schon aufgetragen.«
»Flusskrebse! Wie in einem Fontane-Roman!«, rief Mickey.
»Bei uns gibt es immer die schwedische Variante, ganz nach meiner Mutter«, sagte Katharina Hagendorf. »Man bricht den Körper auf, saugt den Sud aus den Gliedern und isst dazu Knäckebrot und Käse.«
»Klingt jetzt schon nach meinem neuen Lieblingsgericht«, sagte Karl. »Mia, ich folge Ihnen ins Esszimmer.«
»Gerne«, sagte Mia und kontrollierte ganz offen die Anzeige ihres Handys. Immer noch keine Nachricht von Ben. Und keine von Carlos, dem beleidigenden, undiplomatischen Genie der jungen Berliner Szene. Wer nach oben wollte, musste sein, wo er war, so viel stand fest. Da konnte Mickey sagen, was sie wollte.
Warum hatte er ihr noch keine Rückmeldung gegeben? Vielleicht musste er erst allen anderen absagen, ehe er sie anrief. Sicher schickte er ihr ja keine SMS, oder? Sie schaltete ihr Handy trotzig aus. Sollte er ihr eben auf die Mailbox sprechen! Willst du
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