Sommernachtszauber (German Edition)
Oktober, wenn ihr wieder an der Schule seid, was vorweisen. Das bin ich ihren Eltern wohl schuldig.«
»Aber ich arbeite mich doch auch nicht von der Pike auf ein?«
Er zögerte unmerklich. »Es gibt eben zu jeder Regel Ausnahmen. Tschüss jetzt, ich hab noch jede Menge zu tun. Ach ja – sind 1.600 Euro brutto okay?«
Caroline zögerte kurz. Das war weiß Gott kein Vermögen. Aber sie verdiente es als Schauspielerin und nicht beim Verkauf fettiger Ware. Sie zwang ihre Stimme zur Ruhe: »Ja, das ist in Ordnung. Dann bis Montag.«
Erst als Carlos aufgelegt hatte, schrie Caroline auf und umarmte Michi, der sich jedoch wehrte. »He, aufpassen. Jetzt ist mir der Rand verrutscht!«, schimpfte er, musste aber gleich darauf grinsen. »Lass mich raten. Du bist Julia geworden, oder?«
»Jaa! Ja! JA!« Caroline ballte triumphierend die Fäuste, sprang auf, boxte in die Luft und trampelte dann vor Freude mit den Füßen auf der Stelle. »Ich kann es einfach nicht fassen, Michi.«
Sie lehnte sich wieder an die Küchentheke. In ihr brodelte eine seltsame Mischung aus Kraft und Erschöpfung: Sie wollte alles anpacken und war doch so ausgelaugt wie an dem Tag des Vorsprechens, als ihr die Julia aus jeder Pore geströmt war und ihre ganze Stärke mit ihr.
Alles schien zu einfach und doch eine riesige Herausforderung. Die Rolle war eine Schlingpflanze, die die eigene Seele als Gerüst benutzte. Wollte sie das? Konnte sie das? Hatte sie dazu überhaupt die Kraft? Es ging hier ja nicht um sie allein.
Ihre Mutter kam nun ebenfalls in die Küche. Sie trug noch immer ihren Schlafrock, aber hatte sich wenigstens die Haare gekämmt.
»Was ist denn hier los? Was macht ihr für einen Krach?« Sie setzte sich an den Tisch, stützte ihr Kinn auf die Hand und musterte Caroline aus geschwollenen Augen. »Ist der Kaffee noch heiß?«
»Caro ist Julia!«, trompetete Michi.
»Was?« Ihre Mutter runzelte die Stirn. Carolines Herz sank, aber Michi ließ sich nicht beirren.
»Na, sie hat eine Rolle bekommen. Am Theater. So richtig.«
Ihre Mutter sah Caroline stumm an. Dann räusperte sie sich. »Das ist fantastisch, meine Große«, sagte sie heiser.
Ein warmes Gefühl breitete sich in Caroline aus. Es war das erste Mal seit Langem, dass sie eine richtig schöne Reaktion von ihrer Mutter bekam. Sonst wusste man nie so recht, was sie aufnahm und behielt und was nicht. Vielleicht war ja noch nicht alle Hoffnung verloren? Irgendein Leben musste doch auch für sie möglich sein, trotz Papas Tod?
»Danke, Mama.« Sie nahm all ihren Mut zusammen, als sie fragte: »Kommst du zur Premiere?«
Ihre Mutter nestelte am Reißverschluss ihres Schlafrocks herum. »Also, das kommt jetzt etwas plötzlich … Ich weiß es nicht … Wann ist das denn?«
»Kein Druck. Wir haben noch Zeit«, sagte Caroline hastig. Es war gar nicht lange her, da war ihrer Mutter der Weg von ihrem Bett zum Badezimmer noch zu viel gewesen. Sie konnte sich vor dem Klingeln des Telefons hinter dem Sofa verstecken und dort ausharren, bis es wieder still war in der Wohnung. Da wirkten das Bimah , die Lichter einer Premiere und eine große Wohltätigkeitsveranstaltung in nur wenigen Wochen wie unüberwindbare Hindernisse! Caroline wollte dennoch, dass ihre Mutter wusste, wie gerne sie sie dabeihätte. Zu ihren Vorstellungen an der Schule war sie bisher nie gekommen.
»Aber …«, begann ihre Mutter zweifelnd.
»Was aber?« Caroline spürte Röte über ihr Gesicht kriechen.
»Ja, meinst du denn, dass du das kannst?«
Die Worte fielen wie Steine in tiefes Wasser. Sie zogen Kreise, die Caroline wachsen und wachsen sah. Sie wartete, bis sie zerflossen waren. Ihr inneres Ufer war fest genug, um alle Sturmfluten zu überstehen.
»Natürlich schafft sie das«, sagte Michi und legte seine tintenfleckige Hand auf Carolines schmale Finger. »Caroline schafft alles.«
»Ich versuche es zumindest. Sicher werde ich gut sein.«
»Gut ist nicht genug«, sagte ihre Mutter. »Du musst ausgezeichnet sein.« Sie schüttelte den Kopf. »Schauspielerin. Was für eine Idee. Kannst du nichts Gescheites machen?«
»Was denn?« Die Worte ihrer Mutter taten ihr weh, und Carolines innere Stacheln stellten sich auf, obwohl sie auf diese Diskussionen nicht mehr eingehen sollte. Das wusste sie seit Langem. Schon als sie sich bei der Schule beworben hatte, ließ ihre Mutter ihren Zweifeln freien Lauf – selbst dann noch, als sie das einzig verfügbare Stipendium bekommen hatte.
Ihre Mutter zuckte mit
Weitere Kostenlose Bücher