Sommernachtszauber (German Edition)
schon wieder?«
»Er holt gerade Kaffee.«
»Junkie. Kommt rein.« Er sperrte die schwere Holztür des Bimah auf und ließ Caroline und Simone den Vortritt, ehe er noch einmal auf die Straße zurücksah. »Ah, da kommt ja Ben! Gut.«
Gut genügt nicht , dachte Caroline, als sie vor Carlos die paar Stufen bis zu der Schwingtür zum Foyer nahm.
Bevor sie sie aufstoßen konnte, öffnete sie sich wie von selbst, wie eine Einladung.
Caroline fuhr zurück. Sie hatte die Tür nicht einmal berührt und drehte sich um. Doch außer ihr schien das niemand bemerkt zu haben.
»Was ist denn?«, fragte Carlos.
»Die Tür …«
»Ja, was?«
»Sie ist offen! Ich meine … sie ist aufgegangen!«
»Das haben Türen so an sich«, lachte er und trat an Caroline vorbei. »Mir nach!«
»Hier, dein Café Latte, Caroline«, sagte Ben von hinten und reichte ihr vorsichtig den heißen Pappbecher.
»Danke«, sagte sie mit einem Lächeln.
»Das ist das erste Lächeln, das ich von dir bekomme. Steht dir gut. Ich hebe es auf und rahme es ein.«
»Hast du denn an deiner Wand noch Platz?«, grinste Carlos und schob die beiden in den Zuschauerraum.
Caroline drehte sich noch einmal zur Tür um, die sich lautlos und sanft schloss. Wieder hatte sie niemand berührt.
Johannes hielt sich zunächst noch im Schatten, als sie kamen. Er war so aufgeregt, dass er sich beinahe lebendig fühlte. Es ging wieder los hier! Jemand lachte, und es klang nach allem, was er so sehr vermisst hatte. Diese Leute wiesen auf seltsame Weise einen Weg nach vorn.
Da kamen Carlos und eine ganze Gruppe Männer – klar, Romeo und Julia war ja auch voller Männer! Und dann eben sie: Er hatte dieser Caroline einfach die Tür öffnen müssen, auch wenn es vielleicht unvernünftig war. Hatte ja sonst keiner mitbekommen. Und selbst wenn: Was hatte er schon zu befürchten?
Niemand konnte ihn sehen, wenn er es nicht wollte. Dass es ihn gab, war ein Geheimnis, bis er sich entschied, es zu lüften. Irgendwie hatte er gleich gespürt, dass dieser Carlos ein ernsthafter Bewerber um die Gunst des Hauses war. Seines Hauses! Carlos war immer wieder gekommen, mit immer wieder verschiedenen Leuten, bis die Lichter für das Vorsprechen letzte Woche wirklich angegangen waren.
Johannes schluckte. Wie gern er dort in dieser Gruppe säße, die nun auf dem leeren Parkett ihre Campingstühle im Kreis aufstellte, die Texte zückte, am Kaffee nippte und noch ein wenig plauderte, bevor Carlos sein Stück aufschlug und sich die Brille zurechtschob.
»Los geht’s, meine Damen und Herren …«
Johannes setzte sich zwischen Ben und Caroline auf den Bühnenrand. Er war ihr so nahe, dass er ihr Parfum riechen konnte. Es war leicht und frisch, wie eine Wiese Sommerblumen. Er musterte sie: Wie lang ihre Beine waren und wie weich ihre Haut aussah! Sie hatte genau die richtige Art Bräune, fand er. Ihr Teint sah aus wie in Honig getaucht. Zum Abschlecken …
Caroline schlug gerade ihren Text auf, als Carlos plötzlich die Hand hob und sagte: »Halt, halt, halt! Ehe wir loslegen, sagt mir doch mal, was ihr von der Liebe haltet.«
Johannes sah erstaunt auf. Jetzt wurde es spannend. Er zog die Knie an, schlang die Arme darum und erinnerte sich an die Übungen bei Max Reinhardt, die jeder vor den Proben und den Stunden absolvieren musste.
Erzähl mir von deinem tiefsten Schmerz.
Was ist deine wertvollste Erinnerung?
Hast du schon einmal gehasst bis aufs Blut?
Wann warst du das letzte Mal glücklich?
Kennst du den Unterschied zwischen Eifersucht und Neid?
Lust. Begierde. Gibt es stärkere Gefühle? Was treibt den Menschen mehr an als das?
Es ging darum, sich absolut zu öffnen, innere Schranken einzureißen, die einem beim Spielen im Weg stehen konnten. Man öffnete die Seele, sezierte sie und fand dabei, was man zum Spielen brauchte.
»Ben?«, forderte Carlos ihn auf. »Willst du anfangen?«
Ben lehnte sich in seinem Campingstuhl zurück, nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Liebe ist das Schönste. Es macht das Leben erst lebenswert. Ohne Liebe ist das Leben leer«, sagte Ben ruhig. »So ein bisschen wie Schmiere in einem Kugellager.«
Sehr poetisch, dachte Johannes spöttisch. Schmiere im Kugellager! Oh Mann … Aber was dachte er selbst denn über die Liebe? Es war, als hätte Carlos auch ihm diese Frage gestellt. Heiß und kalt, Leben und Tod, Anfang und Ende. Seine Mutter hatte ihn bei seiner Geburt hoffentlich geliebt. Am Ende hatte Judith neben ihm auf der Bühne gelegen,
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