Sommernachtszauber (German Edition)
Sich irgendwann gemeldet?«
»Nein. Nichts.«
Caroline hielt die Lider gesenkt, doch Ben legte Klaus die Hand auf die Schulter, als der weitersprach. »Sie wollte ihr altes Leben hinter sich lassen. Heute weiß ich, dass sie lange für die Stasi gearbeitet hatte. Die haben ihr irgendwann die Ausreise angeboten, damit sie ihre Arbeit im Westen fortsetzen kann. Da hat sie Ja gesagt, aber eben ohne meinen Vater und mich.«
»Bist du dir so sicher?«
»Ja. Erst hat mein Vater mich glauben lassen, dass sie tot sei. Als ich 18 war, hat er mir die Wahrheit gesagt, und ich habe Einsicht in die Akten erhalten. Dort ist das Protokoll ihres letzten Gesprächs in der DDR abgelegt. ›Was ist mit Ihrem Buben‹, hatte ihr Vorgesetzter gefragt. Schulterzucken , steht im Protokoll. Sie hat eine neue Identität erhalten, die nicht in den Akten verzeichnet ist. Vielleicht bin ich deshalb Schauspieler geworden. Ich kann den hässlichen kleinen Jungen mit der Hasenscharte, die ich mal hatte, vergessen. So, wie sie ihn vergessen hat. Und vielleicht läuft meine Mutter ja mal eines Tages an einem Plakat vorbei und sieht in mein Gesicht. Vielleicht erkennt ihr Herz mich dann. Das hoffe ich zumindest.« Er schluckte sichtbar.
Carlos nickte. »Du verbirgst dich hinter tausend Masken, damit niemand dein wahres Gesicht erkennt. Wie Mercutio.«
Karin, die die Amme spielte, sprach von ihrer Kindergartenliebe, dem Nachbarjungen, der eine andere vorzog und mit 18 um die Welt reiste und auf einem Opiumboot in Thailand starb.
Will und Christine, Graf und Gräfin Capulet, die auch im wahren Leben verheiratet waren, erzählten, wie sie sich auf einer Marktstraße in Paris kennengelernt hatten. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen.
Max, oder Benvolio, erinnerte sich an seine kleine Katze, die sein Großvater ertränkt hatte. Axel und Thomas, die Tybald und Paris spielten, hatten beide ihre große Liebe auf der Love Parade kennengelernt.
»Und du, Caroline?«, fragte Carlos schließlich. Sie zuckte zusammen, so konzentriert hatte sie den anderen zugehört.
Johannes setzte sich gerade auf. Oh ja, Carlos war ein Meister seines Faches. Er war wie ein Adler um Caroline und ihre verborgenen Gefühle gekreist, ohne dass sie es gemerkt hatte. Nun stieß er zu.
»Ich?« Ihre Stimme klang brüchig. Hatte sie etwa gedacht, Carlos ließe sie einfach so davonkommen? Gerade sie?
»Ja, du. Julia. Was hältst du von der Liebe, wo du doch bereit sein musst, dich von allen und allem loszusagen, um deinem Liebsten ins Exil zu folgen, nachdem er für Mercutios Tod Rache nimmt und deinen Vetter Tybald im Zweikampf tötet?«
»Ich habe grade keinen Freund«, sagte sie abwehrend.
Carlos zuckte mit den Schultern. »Muss ja auch nicht sein. Du hast ja selbst gesagt, dass man die Liebe nicht einschränken kann. Aber du hattest schon Freunde?«
»Ja. Aber nichts hat lange gehalten.«
»Und weshalb nicht? Ein Mädchen wie du? Da schleckt sich doch jeder die Finger ab?« Carlos sprach leise, doch jedes Wort saß. Volltreffer. Er spürte wohl, dass er auf dem Weg ins Innere seiner Julia war. Es war so still im Saal, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Alle Augen ruhten auf Caroline. Auch Johannes konnte seinen Blick nicht von ihr lösen: Ihr Gesicht glühte, aber er hatte kein Mitleid mit ihr. Da musste sie durch, wenn sie das hier schaffen wollte.
»Weil … weil sie alle zu viel wollten. Mehr, als ich geben kann.«
»Zu viel was? Sex?«
»Nein. Nein, das ist nicht das Problem.«
»Ach? Macht es dir Spaß?«
»Carlos …«, fiel Ben ein, doch der hob wieder abwehrend die Hand. Auch Johannes hätte am liebsten eingegriffen. Das ging Carlos schließlich einen Dreck an. Wie weit durfte ein Regisseur mit seinen Schauspielern gehen? Sehr weit, gestand er sich dann hilflos ein. Bis ans Ende, wenn es der Sache diente. Er konnte nichts tun. Niemand konnte etwas tun. Caroline war Carlos ausgeliefert. Es war ein besonders dunkler Tunnel auf dem Weg zum echten Schauspieler.
»Was wollten sie denn haben?«, bohrte Carlos weiter.
»Sie …« Caroline suchte nach Worten. »Sie wollten unter meine Haut. Sie wollten wissen, was denn los ist . Als ob man das so einfach sagen könnte!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Johannes fasste sich an die Oberarme, um der Versuchung zu widerstehen, sie zu umarmen.
»Und, was ist denn los, Caroline? Sag es uns. Sag uns, was du von der Liebe hältst. Sag, was damit bei dir los ist.« Carlos flüsterte
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