Sommernachtszauber (German Edition)
ihrer ersten Begegnung. Aber nicht Angst vor ihm, eher Angst vor sich selbst. Angst vor dem, was plötzlich möglich war.
Na, los doch, schien eine Stimme zu raunen. Du kannst es.
Alle schwiegen, und Caroline wollte sie packen und aufrütteln, als sie sagte: »Es gibt keine andere Möglichkeit. Wir schwimmen und erreichen das Ufer, oder wir sinken und ersaufen. Was wollt ihr? Ich jedenfalls will schwimmen!«
Sie stand auf, und Ben war der Erste, der sich neben sie stellte. Dann folgten zögerlich, einer nach dem anderen, Mercutio, Tybald, die Capulets, Benvolio, der Mönch und die Amme. Schließlich stellte sich auch Mia neben sie und sagte ironisch: »Soweit ich eben aus den Kulissen dazu beitragen kann.«
Caroline umarmte sie kurz. »Von diesem Stück hängt für uns alle verdammt viel ab. Wir können besser sein als alle anderen. Wir machen Romeo und Julia so modern, so tief, dass jeder es einfach sehen muss , wenn er mitreden will! Wir können das! Wir können alles, wenn wir es wollen – wir können selbst Mickey Hansen davon überzeugen, dass das Bimah wert ist, gerettet zu werden, und dass es definitiv Kohle und ein festes Ensemble verdient, genau wie die großen Staatstheater. Wir sind nicht einfach nur ein altes, verfallenes Haus. Das hier ist lebendige Geschichte! Und mit unserer Inszenierung werden wir das allen zeigen. Auf ein volles Haus, jeden Abend. Full House !«, rief sie und stieß die geballte Faust in die Luft.
»Full House«, riefen Ben und Carlos gleichzeitig und ahmten ihre Geste nach.
»Full House!«, riefen auch die anderen jetzt und Caroline fasste sich an das glühende Gesicht.
»Oh Mann, ich fühle mich wie Martin Luther King.«
Carlos legte ihr den Arm um die Schultern. »Danke, Caroline. Irgendwie musste das von dir kommen. An der Julia hängt das Stück und Mickey Hansen wird sie besonders unter die Lupe nehmen. Traust du dir das zu?«, fragte er sie ernst.
Caroline schluckte. Die Herausforderung war seit dem ersten Vorsprechen stetig gewachsen. Damals war sie wie ein Kind, das zu krabbeln beginnt. Nun konnte sie bereits laufen, das spürte sie. Und vielleicht würde sie es schaffen zu fliegen! Ihr Herz schlug hart, als sie nickte.
Vor zwei Wochen noch, als sie allein gewesen war und Simone um den Zweitschlüssel gebeten hatte, hätte ihr diese Frage Angst gemacht. Nun aber hatte sie Johannes. Mit ihm an ihrer Seite konnte sie jede Rolle der Welt angehen. Sie sah sich instinktiv nach ihm um, hin zum Geisterlicht.
»Suchst du wen, Caroline?«, fragte Mia mit hochgezogenen Augenbrauen.
Sie lächelte geheimnisvoll und schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Aber keine Sorge, Carlos. Ich schaffe das, auch wenn ich Überstunden einlegen muss!«
Wir schaffen das, dachte sie bei sich und genoss die Wärme und Freude, die sie beim Gedanken an Johannes spürte.
»Bist klasse, Caroline«, sagte Carlos leise.
»Allerdings«, sagte Ben mit leuchtenden Augen. »Ich hab das als Erster gesehen.«
»Quatsch. Ich kenne Caroline schon, seit sie ein Tisch war«, sagte Carlos. »Dagegen hast du keine Chance!«
Caroline saß vor dem Computer im Internetcafé. Die Proben am Bimah waren für den Tag vorbei. Doch ehe sie zurück zu Johannes ging, wollte sie noch ein paar Dinge erledigen und etwas durchatmen. In diesen Augenblicken schwebte sie zwischen Ebbe und Flut. Sie war ausgelaugt von der Arbeit des Tages und doch zog ein geheimnisvoller Mond in ihrem Inneren sie zurück in das Theater, wo ihre Kraft, ihre Freude und ihre Neugierde auf ihn anschwollen.
Ihr Café Latte, den sie sich für eine Stunde freies Surfen geleistet hatte, war schon fast kalt geworden. Sie hatte sich die letzten Arbeiten von Mickey Hansen angesehen. Der erste Schritt zum Sieg war Wissen, entschied sie. Mickey auszukundschaften war jetzt für den Erfolg des Stückes ebenso wesentlich wie ihre Arbeit mit Johannes. Wie konnte es sein, dass sie einem Mann wie Carlos solche Angst einjagte?
Caroline klickte sich durch die Links zu Mickeys Kritiken und las konzentriert eine nach der anderen. Was die Frau schrieb, hatte Hand und Fuß. Von ihr war einfach überall zu lesen, von der BILD bis zur FAZ. Kein Zweifel, sie hatte Macht. Echte Macht. An ihren Worten oder ihrer Schreibe hingen Gedeih und Verderb des Theaters.
Dann ging sie auf Google zurück. Bilder zu Michaela Hansen erschien an dritter Stelle. Sie lehnte sich vor, um die kleine Galerie besser sehen zu können. Auf den meisten von ihnen war nur ein Wust roter
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