Sommernachtszauber (German Edition)
keine Angst vor dir habe?«, flüsterte sie und legte ihre Hände sanft um sein Gesicht, wie einen Rahmen um ein Bild.
Er nickte.
Die Dunkelheit um sie wurde lebendig. Schatten wirbelten und die geschnitzten Gesichter und Fratzen in den Balustraden gewannen an Leben, doch Caroline fühlte sich mit Johannes sicher. Sie gehörte plötzlich so zum Bimah wie er. Die Etage beobachtete sie mit ihren eigenen, jahrhundertealten, weisen Augen. Hatte alles hier auf einen Augenblick wie diesen gewartet?
»Du bist ein Geist«, sagte sie ruhig.
Ein Geist . Die Worte hingen zwischen ihnen, ohne Anklage, sondern zart wie Spinnweben. Das Mondlicht schien zwischen ihnen hindurch und verfing sich in ihrem Netz. Er nickte und schloss die Augen.
Sie stand ihm so nah, dass er ihren Atem auf seiner Haut spüren musste. In ihrem Nacken prickelte es, als sie zaghaft die Hand hob und mit einem Finger den markanten Konturen seines Gesichtes folgte. Er öffnete die Augen und lächelte sie an.
»Du bist ein Geist«, sagte sie nun fester. Wie jedes Verstehen erst Fuß fassen muss, ehe der nächste Schritt möglich ist. Sie spürte seine Spannung, als er auf ihre nächsten Worte wartete wie auf ein Urteil.
Sie lächelte: »Na und?«
»Na und, sagst du?« Seine Stimme klang erstaunt.
Sie zuckte mit den Schultern. »Na und, sage ich. Wichtig ist doch nur, dass du bist, wie du bist.«
»Komm«, sagte er, lachte, und seine Stimme war nichts als Erleichterung und Zärtlichkeit, als er sie an der Hand fasste und die geheime Tür in der Tapete aufzog. Sie folgte ihm, ohne zu zögern, in seine Welt, eine kahle Holztreppe nach oben. Es war mehr eine Stiege, zwischen deren Sprossen die Staubflocken tanzten.
»Wie lange ist hier niemand mehr gegangen?«, fragte sie, als sie oben ankamen.
»Ewig. Die Letzten waren Judith und ich.«
Judith . Wer war das? Er sprach den Namen ohne größere Emotion aus. Doch oben angekommen, konnte Caroline nicht anders, als wieder auf die tiefe Wunde in seinem Bauch zu sehen. Der Anblick machte ihr von Neuem eine Gänsehaut. Was war geschehen, dass jemand gegen ihn zum Dolch gegriffen hatte?
»War sie – das? Ich meine, hat sie dich erstochen?«
Er nickte stumm.
»Weshalb? Wie konnte sie das tun?« Caroline fand kaum die Kraft weiterzusprechen. Die Vorstellung war zu groß, zu unerträglich.
Johannes schloss kurz die Augen, als ob die Erinnerung ihn zu viel Kraft kostete. Seine Umrisse flimmerten und Caroline fasste ihn am Arm.
»Bleib bei mir«, flehte sie. Oh Gott, sie wollte nie wieder fragen, wenn sie ihn dadurch verlor!
Johannes aber setzte sich auf eine Truhe, aus der Kleider quollen. »Ich bleibe bei dir. Die Erinnerung an alles kostet mich nur so viel Kraft. Es geschah bei der Premiere von Romeo und Julia . Als ich als Romeo wie tot auf der Bühne lag und sie eigentlich sich selbst erstechen sollte, nahm sie statt meines Dolches ein echtes Messer und …«
»Nein!«, rief Caroline. Sie schlug eine Hand vor den Mund und schauderte vor Entsetzen. »Wie schrecklich. Aber weshalb bist du nicht … ich meine, weshalb bist du nicht tot? Warum bist du ein Geist geworden?«
»Judith tötete mich und verfluchte mich dabei. Dann stieß sie sich selbst den Dolch in den Bauch und die Lichter am Theater gingen aus. Bis ihr gekommen seid, Carlos und seine Truppe.« Er lächelte zärtlich. »Bis du gekommen bist. Endlich.«
Was war zwischen Judith und ihm geschehen, dass sie den gemeinsamen Tod als gerechte Konsequenz ansah? Es war ja nicht der Tod zweier Liebender gewesen, die sich nicht trennen wollten, im Gegenteil. Sie verfluchte mich dabei , hatte er gesagt. Ein Fluch und eine Strafe. Aber eine Strafe wofür? Was konnte so schwer wiegen? Sie dachte an ihre Recherchen im Internetcafé. Neid. Rache. Eifersucht. Liebesleid …
Sie wollte nichts Schlechtes von ihm denken. Nichts, das eine solche Tat als Verbrechen aus Leidenschaft erklären konnte. Caroline schluckte. Sie wollte den Zauber des Augenblickes nicht zerstören.
Sie rang nach Atem, ging vor Johannes in die Knie und legte ihre Hände auf seine Schenkel. Ihre nächste Frage war quälend, aber sie musste sie einfach stellen: »Weshalb ich? Weshalb hilfst du mir? Sehe ich Judith ähnlich?«
Er seufzte. »Ja. Und nein. Als ich dich das erste Mal gesehen habe, hat mich eure oberflächliche äußerliche Ähnlichkeit erschreckt. Die langen dunklen Haare, die großen Augen und dein schöner Mund. Aber jetzt …«
»Ja?«
»Jetzt sehe ich nur noch dein
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