Sommernachtszauber (German Edition)
unglaubliche Widerwille gegen seinen Onkel, der gerade in der SS eine blendende Karriere machte.
»Setz dich, mein Junge. Ich fasse mich kurz, es geht ja gleich los.«
Johannes hatte gehorcht, als Georg Steiner ihm eine Hand auf die Schulter legte. Sie wog schwer. Er hatte nur noch aufstehen wollen und flüchten. Stattdessen aber war er sitzen geblieben.
»Wie du deinem Großvater ähnlich siehst! Junge, Junge, was hat der mich immer vermöbelt«, begann er.
Recht hatte er daran getan. Hätte er mal noch fester zugeschlagen, hatte Johannes schon damals gedacht!
Im Theater saß in jener Nacht die politische Elite des Landes und deshalb hatte Johannes sich beherrscht: Bitte jetzt kein Gespräch von Mann zu Mann ! Fünf Minuten vor der Premiere!
Georg hatte seine Ungeduld wohl doch gespürt, denn er hatte die angepaffte Zigarette in der offenen Dose Abschminkcreme ausgedrückt. Es hatte hässlich gezischt. Johannes hatte das Geräusch noch in den Ohren, sah noch die Kippe aus der weißen Masse ragen.
»Johannes, das geht nicht, du kannst diese Jüdin nicht heiraten«, hatte Georg brüsk gesagt. »Das rate ich dir im Guten, weil du mein Neffe bist. Auch wenn ich selbst damit ganz schön was riskiere.«
Johannes hatte geschwiegen. Verdammt noch mal geschwiegen, statt Georg am Kragen zu packen und ihn im hohen Bogen aus der Garderobe zu werfen. Wie, das geht nicht?
»Nach dem Sommer treten neue Gesetze in Kraft, Johannes. Der Parteitag wird sie im September in Nürnberg verabschieden, aber das ist natürlich noch Geheimsache. Diese Saubande verweisen wir auf ihren Platz. Denen zeigen wir, wer der Herr im Haus ist. Aber so richtig, mein Junge.«
»Was für – Gesetze?« In der Garderobe war es viel zu heiß geworden, zwischen den Spiegellichtern, den Rosen und diesem Mann! » Wem zeigt ihr was ?«
Dabei hatte Johannes genau gewusst, von wem Georg sprach. Die Kehle wurde ihm eng, dieses Würgen, das er heute noch spürte. Sein Onkel hatte ihn angewidert.
»Den Juden natürlich! Junge, du bist doch vernünftig. Aus dir kann was ganz Großes werden. Da wirst du dir doch nicht so einen Klotz wie dieses Mädel ans Bein binden? Dann ist es aus mit der Karriere! Kein Theater nimmt dich mehr und der Film erst recht nicht. Glaub mir.«
Das Blut hatte in seinen Ohren gerauscht, seine Fäuste hatten sich von allein geballt, als Georg nur kurz lächelte. »Ich verstehe ja, junge Liebe, die Theaterluft und, und, und. Außerdem ist sie ja auch ein verdammt hübsches Ding. Zu spitze Zunge vielleicht, aber das wird ihr vergehen.«
»Was meinst du damit? Was wird mit Judith geschehen?«
»Ich weiß, was wir für die Juden geplant haben. Für dich ist es am besten, wenn du dich von ihr lossagst. Du willst doch ein großer deutscher Schauspieler werden, oder?«
Johannes war wie betäubt. Das konnte alles nicht wahr sein. Und doch war die Schrift schon länger an der Wand zu lesen gewesen.
Georg hatte ihn nicht aus den Augen gelassen, wie eine Katze die Maus.
»Na also. Wenn du mit einer Jüdin verheiratet bist, kannst du das vergessen. Und für dich selbst wird’s vielleicht auch noch brenzlig. Mitgefangen, mitgehangen. Für euch alle am Theater hier.« Wie sachlich seine Stimme bei diesen entsetzlichen Worten klang!
»Drohst du mir etwa?«, hatte Johannes gefragt. Was für ein Dummkopf er gewesen war! Raus aus meiner Garderobe, du Schwein, wäre die einzig richtige Antwort gewesen und noch ein Arschtritt hinterher.
»Dir drohen?« Georg lachte kurz auf. »Nein. Nicht im Geringsten, Dummkopf. Ich helfe dir und denke dabei an dich und deine Karriere, wie du hoffentlich auch an mich und die meine denkst. In der Familie muss man doch zusammenhalten, oder?«
Johannes erinnerte sich an seine erste verzweifelte Reaktion damals: etwas sagen, etwas fragen – Zeit kaufen. Dass es Georg ernst war, daran bestand kein Zweifel!
»Was soll denn dann mit dem Theater passieren?«
»Gut, dass du so sachlich bleiben kannst, Hans. Ich habe nichts anderes von dir erwartet. Die Goldmanns werden enteignet und das Theater wird geschlossen. Vielleicht reißen wir den ganzen Laden ab. Da ist ja jeder Stein verpestet. Vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall gehen hier bald die Lichter aus. Für immer.«
Georg musste sein Zögern gespürt haben, denn er hatte sich vorgebeugt und mit erschreckender Eindringlichkeit geflüstert: »Denk an deine Zukunft. Denk an Berlin und die Lichter der großen Stadt. Dein Name auf allen Plakaten! Vielleicht
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