Sommernachtszauber (German Edition)
öffnete eine Luke. Es quietschte rostig, und ehe Caroline protestieren konnte, hielt er sie schon wieder in den Armen. Ihre Brust presste sich an seine und ihre Arme schlangen sich wie von selbst um seinen Hals. Einen Atemzug später saß sie auf dem Dach des Bimah . Es war nur ein schmaler Sims und die roten Dachziegel fielen steil vor ihr nach unten ab. Dennoch spürte sie, wie Johannes sie fest und sicher an sich gedrückt hielt.
»Wow«, war alles, was sie sagen konnte.
Vor, unter, neben ihr lag bis zum Horizont Berlin mit all seinen Lichtern, wie sie es noch nie gesehen hatte. Berlin, bei Tag oft so grau, undurchdringlich und schroff, war nun eine Stadt wie ein Meer, in dessen Fluten sich das Funkeln der Sterne brach. Sie konnten in diese Lichter eintauchen, sich treiben lassen. Ihr Blick wanderte von der Friedenskirche bis zum Funkturm am Alexanderplatz: Es war ihre Stadt und auch seine und wohl ein festeres Band zwischen ihnen beiden, als sie es bisher angenommen hatte. Ein Band, das Sekunden und Jahre, Zeit und Gezeiten, Welt und Welten überbrückte.
»Die Lichter der Stadt«, murmelte er.
Caroline sog die frische Sommernachtsluft ein und schmiegte sich an seinen flimmernden Körper, der doch da war, der sie wärmte und hielt. Sie war Johannes so nah und ihrer beider Stadt lag ihnen zu Füßen – sie war so glücklich wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
»Ja. Die Lichter von Berlin«, sagte sie.
Johannes hielt Caroline fest an sich gedrückt. Sie schien ihm wie ein kleiner Vogel, der aus dem Nest gefallen war, den er behutsam aufheben und dem er das Fliegen beibringen konnte. Einfach so. Ihr wollte er alles geben, was er zu geben hatte. Seinem Jazz-Tune. Es war ein neues, schönes Gefühl. Er spürte ihren Herzschlag an seiner Brust, als sie sich vertrauensvoll an ihn lehnte, und ihre Wärme strahlte in ihn hinein. Er wollte sie nie enttäuschen, das wusste er. So glücklich hatte er sich nicht mehr gefühlt seit … seit… Die Lichter von Berlin .
Wie konnte er diese Worte aus dem Mund Georg Steiners vergessen? Sie waren Lockung und Drohung zugleich gewesen und saßen wie Widerhaken in seiner Seele. Seiner unsterblichen Seele.
»Wie fantastisch, dass du am Fasanentheater debütierst«, hatte sein Onkel an jenem Abend in der Garderobe zu ihm gesagt. »Nirgends scheinen die Lichter von Berlin heller – noch!«
Was war an jenem Abend geschehen, dass jedes Wort sich in sein Hirn gebrannt hatte? Sein Zögern – das war geschehen!
Johannes drückte Caroline und hörte sie aufkeuchen. Dennoch konnte er sie nicht loslassen. Sie hatte auf seine Wunde gezeigt und gefragt: Weshalb? Warum hat sie dich erstochen? Was würde sie von ihm halten, wenn sie die Wahrheit kannte? Wollte sie wirklich wissen, weshalb er so grausam bestraft wurde?
Für sein Schweigen, mit dem er seinem Onkel in die Hände gespielt hatte. Sein Schweigen, das Judith belauscht hatte.
Wird dies nie Spiel für dich sein?
Nie. Du bist heiliger Ernst …
Gut. Etwas anderes könnte ich nicht ertragen. Ich würde erst dich töten und dann mich …
»Was habe ich denn da eben vom Standesamt gehört? Willst du deine schöne Jüdin etwa heiraten?«, hatte Georg ihn gefragt.
»Ach …« Johannes hatte seinen Ärger über die Art, wie Georg über Judith sprach, hinuntergeschluckt. »Wir sind verlobt, aber wir wollten es erst nach der Premiere bekannt geben.«
»Verlobt, soso. Weißt du, was die Franzosen dazu sagen?«
»Nein. Was denn?«
»Verlobungen sind dazu da, um gelöst zu werden.«
»Ach ja?« Johannes hatte gelacht. Er hatte den hohen, gezwungenen Ton seiner eigenen Stimme noch im Ohr. Dann hatte er mit den Schultern gezuckt. »Sei mir nicht böse, dass du noch nicht Bescheid weißt. Die Einladungen werden erst noch verschickt. Mutter will sich kommende Woche darum kümmern, wenn sie den Film abgedreht hat.«
»So meine ich das nicht«, hatte Georg lauernd geantwortet.
»Wie denn dann? Meinst du, wir sind zu jung, um so eine Entscheidung zu treffen? Das sind wir nicht. Wir wissen, was wir tun, glaub mir.«
Georg hatte Johannes’ Einwand mit einer lässigen Handbewegung beiseitegewischt. Bei der Erinnerung daran krampfte sich in Johannes alles zusammen: Georg, der sich an seinen Schminktisch gelehnt hatte, die Beine in den auf Hochglanz polierten schwarzen Lederstiefeln lässig übereinandergeschlagen, und sich eine Zigarette angesteckt hatte. Ihr leicht parfümierter Rauch hatte Johannes Übelkeit verursacht. Dieser
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